GASTKOMMENTAR: Die Trümmer des Sieges
■ Die Kurdenfrage muß auf einer Nahost-Konferenz behandelt werden
Der Krieg gegen Saddam Hussein hat keine Lösungen gebracht. Die Staaten, die den alliierten Krieg unterstützt haben, stehen jetzt vor den Trümmern ihres Sieges. Sie sehen sich dem Verdacht ausgesetzt, daß es doch nur um strategische und wirtschaftspolitische Interessen gegangen sein kann, denn das Menschenrecht wird nun in gleicher Weise zertreten wie zuvor in Kuwait.
Die Frage „Was wäre gewesen, wenn?“ ist nicht immer nutzlos. Welche Möglichkeiten hätte eine friedliche Nutzung der Kriegsmilliarden für die Region und weit darüber hinaus gebracht? Wären damit nicht elementare Menschenrechte vieler wiederhergestellt worden? Hätten damit nicht wirtschaftliche und soziale Probleme in Teilen der Golfregion und ihrem Umfeld bekämpft werden können? 310 Millionen D-Mark hat Bonn für die kurdischen Flüchtlinge bereitgestellt. Für den Golfkrieg zahlte sie fast 60mal soviel, 17,6 Milliarden. Die USA schicken einige tausend Soldaten als Helfer, 500.000 alliierte Soldaten wurden zur Kriegsvorbereitung in kurzer Zeit in das Krisengebiet geschafft. Es drängt sich die Frage auf, ob Menschen unterschiedlicher Herkunft in dieser Welt auch unterschiedliche Schutzrechte haben.
Das kurdische Volk hat ebenso ein Recht auf gesicherte Existenz wie jedes andere. Die jetzt geplanten Schutzzonen können nur eine kurzfristige Hilfe in der akuten Krisensituation sein. Eine dauerhafte Lösung aus dem Stegreif ist sicher illusorisch. Die „Kurdenfrage“ muß auf einer Nahost- Friedenskonferenz, wie sie der DGB seit längerem fordert, mit auf den Tisch. Das Interesse, den Kurden zu ihrem Recht zu verhelfen, ist in der Welt vergleichsweise gering. Wenn ich die Unfähigkeit der Politik in der Golfkrise beklage, beklage ich ebenso unsere eigene Unfähigkeit. Es war gut und richtig, daß viele Menschen in der BRD ihrer Angst vor dem Krieg am Golf Ausdruck gaben. Dennoch können wir für uns nicht in Anspruch nehmen, in dieser Auseinandersetzung moralisch besonders integer gewesen zu sein. Die Angst um das eigene Lebensumfeld, die Angst vor dem Einsatz nichtkonventioneller Waffen auch in Europa, die Angst vor einer ökologischen Katastrophe in Folge des Krieges, ist nur die eine Seite der Entrüstung. Ebenso besorgt aber sollten wir um das Leben anderer Menschen in anderen Teilen der Welt sein.
Zu Beginn des Jahres gab es kaum ein Gespräch, in dem nicht irgendwann das Thema Krieg angesprochen wurde. Heute reden wir beim Glas Bier wieder über den Urlaub in Antalya oder die Kirschblüte im eigenen Garten. Niemand in Europa muß sich durch das Leiden der kurdischen Flüchtlinge bedroht fühlen. Und die Versuchung ist groß, sich mit ein paar Mark Spende von der Verantwortung für alles weitere freizukaufen.
Was bleibt, ist der Appell an uns alle, weniger egoistisch mit unserer Empörung, unserer Wut und unserer Furcht umzugehen. Dabei übersehe ich allerdings nicht, daß politische Lösungen häufig — zumindest kurzfristig — nicht möglich scheinen. Dennoch sollten wir uns öfter Nachdenken über anscheinend ferne Probleme zumuten. Heinz-Werner Meyer
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