: Verwaltung manipuliert Gutachten
■ Bündnis 90/Grüne werfen der Senatsverwaltung vor, Gutachten für Verkehrsentwicklungsplan zensiert zu haben/ Entgegen Koalitionsvereinbarung sollen vor allem Straßen ausgebaut werden
Berlin. Der Zwischenbericht zur Verkehrsentwicklungsplanung ist 258 Seiten dick. Was man dem Buch in Katalogformat, das als Vorlage für politische Entscheidungen dient, nicht ansehen kann: Die Verkehrsverwaltung hat die beiden Gutachten, die dem Bericht zugrunde liegen, manipuliert oder — gutwillig gesagt — uminterpretiert. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne präsentierte gestern Auszüge aus den Originalgutachten und forderte von Verkehrssenator Haase (CDU) die vollständige Veröffentlichung.
Das Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist zwar auf den letzten 48 Seiten veröffentlicht, merkwürdigerweise fehlt aber das Kapitel Auswirkungen der Verkehrsnachfrage. Hier hatten die Autoren den Schluß gezogen, daß Verkehr weder technisch noch umweltpolitisch zu beherrschen ist, solange Kraftfahrzeuge einen Anteil von mehr als zwei Dritteln am Verkehrsaufkommen halten. »Bauliche Engpaßbeseitigung [z. B. Straßenverbreiterung und -neubau, Anm. d. Red.] führt immer wieder zur Verlagerung der Engpaßzustände, der Baubedarf wird nie aufgehoben«, heißt es in dem Gutachten — nicht aber mehr im Zwischenbericht. Das Gutachten der Gesellschaft für Informationsverarbeitung, Verkehrsberatung und angewandte Unternehmensforschung mbH (IVU) haben Haases Beamte gar nicht erst veröffentlicht. Die Gesellschaft zieht deutlicher als das DIW den Schluß, daß »die bisherige Bevorzugung des Automobils zugunsten des Umweltverbundes (zu Fuß, Fahrrad oder ÖPNV) aufzugeben ist. Für die Innenstädte bedeutet dies eine eindeutige Vorrangpolitik für den ÖPNV«.
Die Verkehrsverwaltung will dagegen »die voraussichtliche negative Entwicklung neutralisieren« und erläutert dies auf Seite 34: »Der Kfz- Verkehr ist auf übergeordneten Straßen zu bündeln, und Wohngebiete sind vom Durchgangsverkehr zu entlasten«. Die Verwaltung favorisiert Straßenringe jeweils um den West- und Ostteil der Stadt. Die Gutachter hatten statt dessen geraten, man müsse auf den weiteren Ausbau im Straßennetz verzichten, und sich im Ostteil und im Umland auf eine Rekonstruktion beschränken.
Die Oppositionspartei warf der Verkehrsverwaltung gestern neben Zensur auch Inkompetenz vor. In dem Zwischenbericht würden wichtige Zielvorgaben fehlen, behauptete Stadtplaner Rheinlaender. Es gebe keine Aussage dazu, daß der Anteil des motorisierten Individualverkehrs zurückgedrängt und die Lärm- und Schadstoffbelastungen verringert werden sollen. Weiter sei in dem Teil Fernverkehr der Güterverkehr nicht behandelt. Da dies nicht begründet werde, sei das Thema vermutlich vergessen worden. Ein Witz sei die Vorstellung, den Ausbildungsverkehr auf den ÖPNV verlagern zu wollen, sagte Rheinlaender, da alle Auszubildenden unter 18 Jahre keinen Führerschein haben und deshalb Bahn und Bus bereits benutzen.
Verwundert ist Kramer darüber, daß in dem Zwischenbericht der Straßenbahn im Westteil kein Ergänzungsnetz zuerkannt werde, obwohl im Gegensatz zur U-Bahn nur »ungeheuer niedrige Neubaukosten« entstehen würden. Dirk Wildt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen