Auf der Überholspur in die neue Welthandelsordnung

Die Deadline ist am 1. Juni: Die Protektionisten in den USA haben noch gut sechs Wochen Zeit, um im Kongreß das Eilabstimmungsverfahren über Handelsabkommen zu kippen/ Ein Bollwerk vom Yukon bis nach Yucatán/ Diskutiert wird über den Pakt mit Mexiko, gemeint ist aber auch das Gatt  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Wie selten zuvor herrscht in diesen Tagen Gedränge auf den Fluren des Kapitols. Besonders an den Türen zum Finanzausschuß des Senats und denen zum einflußreichen „Ways and Means Committee“ des Repräsentantenhauses — in dem der politische Streit um parlamentarische Verfahrensfragen ausgetragen wird — geben sich die Lobbyisten die Klinke in die Hand.

Da warten dann die Chefs multinationaler US-Konzerne in der Schlange, um die noch unentschlossenen Abgeordneten von den Vorteilen des Freihandelspaktes mit Mexiko zu überzeugen. Dort harren aber auch Vertreter des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO auf den Zugang zu wichtigen Ausschußmitgliedern, um sie vor den Arbeitsplatzverlusten zu warnen, die zu erwarten seien, wenn das Abkommen unterzeichnet wird. Und schließlich tummeln sich da die Berufs-Lobbyisten, Dutzende von Einflußakrobaten, die die mexikanische Regierung extra in Washington angeheuert hat: Sie sollen das uneingeschränkte Interesse der Regierung Salinas am hemmungslosen Handel mit den sonst eher ungeliebten Gringos unters Politikervolk bringen.

Dabei haben die Verhandlungen über das Free Trade Agreement (FTA) zwischen den USA und Mexiko noch gar nicht begonnen. Die Schlacht der Lobbyisten dreht sich in diesen Wochen vielmehr um das fast track. Das „schnelle Gleis“ ist ein parlamentarisches Verfahren, das die zügige Ratifizierung hochkomplizierter Handelsabkommen bringen soll: Abgestimmt wird nur noch über die Gesamtvorlage, nicht mher über Details. Vor fünf Jahren, mit dem Beginn der Gatt-Verhandlungen, wurde es eingeführt, um die aus den Haushalts- und wirtschaftspolitischen Debatten wohlbekannten wochenlangen Diskussionen und Änderungsanträge zu vermeiden.

Den Lobbyisten genügt die einfache Mehrheit

Der fast track nun steht zur automatischen Verlängerung an — oder eben nicht. Am 1. Juni ist deadline: Gut sechs Wochen haben die Gegner der US-Freihandelspolitik demnach noch Zeit, um das Eilabstimmungsverfahren zu kippen — und damit de facto nicht nur den Freihandelspakt mit Mexiko, sondern auch die derzeit unterbrochenen Gatt-Verhandlungen in Genf in Frage zu stellen. Nötig ist dafür nur eine einfache Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses.

„Die Frage des fast track“, erklärte George Bush am Mittwoch die Bedeutung des Verfahrensstreits, „ist für unsere außenpolitischen Ziele von absolut fundamentaler Bedeutung.“ Auch wenn der US-interne Streit um ein Handelsabkommen mit Mexiko derzeit in Europa kaum beachtet wird: In den Washingtoner Korridoren der Macht wird in diesen Tagen über den Gang der Weltgeschichte entschieden. Denn nicht im Mittleren Osten, sondern auch bei den Verhandlungen über das internationale Zoll- und Handelsabkommen Gatt wird über George Bushs „Neue Weltordnung“ entschieden. Und die Chancen für die von den USA angestrebte Liberalisierung des Welthandels werden nicht zuletzt vom Schicksal des Paktes mit Mexiko abhängen.

Die Bush-Administration, so die 'Washington Post‘, sehe in dem Freihandelsabkommen mit Mexiko „nichts anderes als ein Bollwerk für die geopolitische und wirtschaftliche Zukunft der USA.“ Nach Abschluß des Freihandelspaktes mit Kanada vor drei Jahren schwebt Washington nun ein Nordamerikanischer Handelsblock vom Yukon bis zur südmexikanischen Halbinsel Yucatán vor, ein Markt, der mit 362 Millionen EinwohnerInnen und einem gemeinsamen Bruttosozialprodukt von 5,9 Billionen US-Dollar in nahezu jeder Hinsicht größer ist als der der EG. Später könnten dann auch noch die reformwilligen Staaten Südamerikas in die Freihandelszone aufgenommen werden, die, wie schon jetzt Chile oder Brasilien, ihre Bereitwilligkeit zum Abbau der Handelsschranken bekundet haben.

Spätestens seit dem letzten Dezember, als die Gatt-Verhandlungen am transatlantischen Agrarkonflikt einstweilen scheiterten, hat Bushs Idee einer Freihandelszone „der Amerikas“ den Charakter einer Gegenveranstaltung zur EG angenommen. Und seit dem Golfkrieg hat die wirtschaftliche Annäherung der USA an die potentiellen Energielieferanten Mexiko (Öl) und Kanada (Wasserkraft) neue Dringlichkeit gewonnen. Zwar ist der Ölsektor von der mexikanischen Regierung aus innenpolitischen Gründen erst einmal aus dem Abkommen herausgenommen worden. Längerfristig ist jedoch eine vorsichtige Kooperation bei der Ausbeutung der mexikanischen Ölvorräte geplant. Nach den Plänen des George Bush sollen die bereits in den letzten Jahren reduzierten Importzölle Mexikos sowie die Investitionsbeschränkungen für US-Unternehem weiter abgebaut werden und am Ende ganz verschwinden. Ziel der USA ist die völlige Öffnung des mexikanischen Marktes für US-Produkte und -Firmen, die ihre heimischen Produktionsstätten wegen der niedrigeren Lohnkosten und umweltpolitischen Auflagen gerne nach Mexiko verlegen möchten. Oder, im Jargon der Handelspolitik ausgedrückt: „Freizügigkeit von Gütern und Dienstleistungen, freie Investitionen und der Schutz geistigen Eigentums.“

Schuldenkrise erzwang Ende des Isolationismus

Mexikos Präsident Salinas de Gortari, dessen Fünfjahresplan einer wirtschaftlichen Öffnung dem 'Wall Street Journal‘ ungleich besser gefällt als seinen einheimischen Kritikern, verspricht sich von dem Abkommen mit den Yanquís dagegen zusätzliches Wirtschaftswachstum und einen Abbau des Schuldenberges in Höhe von 94 Milliarden Dollar. Schon heute sind die USA mit großem Abstand Mexikos wichtigster Handelspartner. 66 Prozent aller mexikanischen Exporte gehen in die USA; 62 Prozent seiner Importe stammen vom nördlichen Nachbarn.

Der drastische Ölpreisverfall und die daraus resultierende Schuldenkrise zu Beginn der achtziger Jahre hatten Mexiko in der Folge zur Aufgabe seiner isolationistischen Wirtschaftspolitik getrieben. Selbst die seit 1929 regierende Institutionelle Revolutionspartei (PRI) mußte angesichts der Krise einsehen, daß Mexikos hochverstaatlichtes Wirtschaftssystem, einst nicht zuletzt aus Schutz vor den aggressiven US-Konzernen entstanden, am Ende war. Seit dem Gatt-Beitritt im Jahr 1986 hat die Regierung die meisten Importbeschränkungen abgebaut und die höchsten Einfuhrzölle von 100 auf 20 Prozent gesenkt. Allein von 1988 auf 1989 stieg daraufhin das Handelsvolumen beider Länder um rund 20 Prozent.

Zumindest oberflächlich hat die mexikanische Volkswirtschaft auch von dem seit 20 Jahren praktizierten Maquiladora-Programm profitiert, der Ansiedlung von Fertigungsstätten US-amerikanischer Konzerne im mexikanischen Grenzland. Heute beschäftigen die 1.800 Maquiladoras rund 425.000 mexikanische ArbeiterInnen und sind für rund ein Viertel des US-mexikanischen Handels verantwortlich, der sich seit 1985 auf 52 Milliarden Dollar fast verdoppelt hat. Obwohl ein Großteil der mexikanischen „Überschuß“- Bevölkerung lieber für einen Hungerlohn in diesen Fabriken arbeitet als überhaupt nicht, bleiben die Maquiladoras aufgrund ihrer gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen und der oft skandalösen Unterbringung der Beschäftigten vor allem in den USA sehr umstritten.

Mit den Bildern von ökologischen und ökonomischen Untaten durch die Vorhut des US-Kapitals in diesen Fabriken wirbt der Gewerkschaftsverband nun auch im Kongreß gegen das geplante Abkommen. Ein Sechs- Minuten-Video, das der AFL-CIO allen Senatoren und Abgeordneten zusandte, zeigt die heruntergekommenen Wohnquartiere der Maquiladora-Arbeiter, den in offene Gräben gekippten Giftmüll und die schwarzen Wolken, die von den Halden brennender Plastikabfälle in den mexikanischen Himmel steigen. „Mit versteckten Kameras“, so kommt dazu eine Stimme aus dem Off, „konnte das Gewerkschafter-Team diese dramatischen Beweise für die völlige Mißachtung von Arbeitsrechten und Umweltvorschriften festhalten.“ „Ein Skandal, der ein soziales und wirtschaftliches Inferno geschaffen hat“, sagt Gewerkschaftssekretär Thomas Donahue.

Wenn diese Praktiken nach dem Inkrafttreten des FTA erst auf ganz Mexiko ausgedehnt werden können, befürchtet die Gewerkschaftsbewegung einen weiteren Exodus der US- Konzerne nach Süden. Nach Ansicht von Experten werden vor allem die niedrigqualifizierten ArbeiterInnen, die schon in der Reagan-Dekade einen deutlich Lohnrückgang hinnehmen mußten, von den Arbeitsplatzverlusten am meisten betroffen werden. Das linksliberale „Economic Policy Institute“ (EPI) geht auf der Basis von Regierungszahlen über den Arbeitsmarkteffekt eines FTA davon aus, daß die Abwanderung von US-Firmen die Löhne von 73 Prozent aller US-ArbeiterInnen nach unten drücken wird. Kein Wunder: Der durchschnittliche Stundenlohn plus Prämien in den Maquiladoras liegt bei 1,63, in den USA jedoch bei 14,32 Dollar. Die Bush-Administration, so EPI-Präsident Jeff Faux, versuche das Ausmaß von Arbeitsplatzverlusten in den USA systematisch herunterzuspielen.

Nach der Theorie der Freihändler dagegen wird das Abkommen sogar zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, weil der Warenexport nach Mexiko mehr Jobs schaffe, als in den USA durch steigende Importe aus Mexiko verlorengingen. Wo allerdings in einer Volkswirtschaft wie derjenigen Mexikos die Kaufkraft zur Abnahme all der US- Waren herkommen soll, hat die Bush-Administration noch niemandem erklären können. Mexikos Bruttosozialprodukt liegt bei 3,6 Prozent des US-amerikanischen, und pro Kopf sind die Unterschiede ähnlich kraß: 21.100 Dollar im Norden versus 1.990 Dollar im Süden. Grundsätzlich sind alle Schätzungen über den voraussichtlichen Arbeitsmarkteffekt des anvisierten Abkommens eher spekulativer Natur. Selbst drei Jahre nach dem Inkrafttreten des FTA zwischen den USA und Kanada streiten sich dort noch Befürworter und Gegner über die tatsächlichen Folgen des Abkommens. Sicher ist nur eins: Die ursprünglich behaupteten Investitions- und Absatzschübe hat es nicht gebracht.

Demokraten sind zersplittert

Trotz der kanadischen Erfahrungen kann sich die Koalition der Handelsprotektionisten aus Gewerkschaften, Umweltschützern und Vertretern direkt gefährdeter Industrien — etwa der Textilbranche — jedoch eines Sieges über die Freihändler längst nicht sicher sein. Dazu sind die Demokraten im Kongreß, die bisher traditionell für die Anliegen der Arbeiterbewegung eintraten, viel zu zersplittert.

Da gibt es zunächst einmal die Volksvertreter aus den Bundesstaaten Texas, Neu-Mexiko, Arizona und Südkalifornien, die sich für ihre Region vom verstärkten Handel mit den Mexikanern jenseits der Grenze nur Vorteile versprechen. Dann gibt es solche Demokraten, die trotz ihrer Bedenken gegen das FTA mit einer Stimmabgabe gegen das fast track- Verfahren nicht auch die Gatt-Verhandlungen in Genf zum Scheitern bringen wollen. Und dann gibt es noch solche Parlamentarier, denen der grundsätzliche Protektionismus der Gewerkschaften eine zu rückwärtsgerichtete und wachstumsfeindliche Philosophie darstellt. Sie argumentieren deswegen dafür, den Abschluß des Freihandelsabkommens an ökologische, arbeitsrechtliche und politische Auflagen für Mexiko zu knüpfen, um die negativen Folgen des Freihandels zumindest abzuschwächen.

Wenig Hoffnung auf bessere „Maquiladoras“

„Die Frage in dieser komplexen Situation ist“, schreibt der Wirtschaftskolumnist Hobart Rowen, „ob die Demokratische Partei, so abhängig sie auch von den Wahlkampfspenden der amerikanischen Gewerkschaften sein mag, zur Lösung der großen wirtschaftlichen, umweltpolitischen und Immigrationsprobleme mit Mexiko beitragen will; oder ob sie diese zur Blockierung einer Initiative benutzen will, die eine Hoffnung auf mehr internationalen Handel und das damit einhergehende Wachstumspotential mit sich bringt.“

An die Adresse genau dieser noch unschlüssigen Demokraten ist denn auch die jüngste Lobby-Offensive des Präsidenten gerichtet. In einem dreiseitigen Brief an alle Gesetzgeber versprach George Bush jetzt „adäquate Hilfen und effektive Umschulung“ für diejenigen Arbeiter, die als Folge des Freihandelsabkommens ihren Arbeitsplatz einbüßen werden. Ferner kündigte der Präsident eine umweltpolitische Zusammenarbeit mit Mexiko an, die auch Kontrollen der Luft- und Wasserverschmutzung, von Giftmüll, Pestiziden und Chemieunfällen beinhalten werde.

Ferner versuchte Bush, den Einwänden der FTA-Gegner mit der Möglichkeit von längeren Anpassungsfristen und einer Wiedereinrichtung von Handelsschranken zu begegnen. Während die Vertreter von Umweltgruppen die Realisierung solcher Versprechungen angesichts der absolut unzureichenden Kontrollorgane in Mexiko grundsätzlich anzweifelten, schienen einige Demokraten im Kongreß von des Präsidenten neuen Versicherungen recht angetan.

„Der fast track“, so erklärte George Bush kürzlich einer Schar von Wirtschaftsjournalisten, „ist nur ein anderes Wort für Vertrauen.“ Nach dem Sieg im Golfkrieg scheint es nun wahrscheinlich, daß ihm eine Mehrheit der VolksvertreterInnen jenes Vertrauen aussprechen wird — auch wenn dies nichts anderes als die freiwillige Aufgabe ihrer demokratischen Kontrollfunktion bei der Ratifizierung zukünftiger Handelsabkommen bedeutet. Der Weg in die „Neue Weltordnung“ des globalen Freihandels könnte dann auf der Überholspur zurückgelegt werden.