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„Das Neue ist die Gewalt am Mann“

■ Nach der Maueröffnung verschärfte sich der Gewaltcharakter ostdeutscher Rechtsextremisten/ Ziele sind jetzt vorrangig Menschen/ Reservoir für Rechtsextremismus ist im Osten größer als im Westen

Berlin. Der Polizist hatte Todesangst: Umzingelt von mehreren rechtsextremistischen Schlägern, die ihn bereits angegriffen hatten, zog er in seiner Not die Dienstwaffe und feuerte einen Warnschuß ab. Erst jetzt ließen die Täter von ihrem Opfer ab. Der Polizist überlebte schwer verletzt.

Vorfälle wie dieser, geschehen am 1. Mai in der Thüringer Kleinstadt Sondershausen, sind in Ostdeutschland mittlerweile fast an der Tagesordnung. Brutale Übergriffe auf Asylbewerber und polnische Touristen, Straßenschlachten zwischen Polizei und Neonazis — die neuen Bundesländer scheinen von einer Welle rechtsextremistischer Gewalt überflutet zu werden.

„Schon seit einem Jahr registrieren wir eine Verstärkung der Gewaltattacken aus der rechtsextremen Ecke“, sagt Bernd Wagner, Leiter der Staatsschutzabteilung vom Gemeinsamen Landeskriminalamt der neuen Länder (GLKA) in Berlin. „Was wir jetzt erleben, ist die Fortsetzung eines Trends, der schon bald nach der Maueröffnung einsetzte.“ Damals sei es unter den Rechtsextremisten zur Vermischung und Vernetzung mit Gesinnungsfreunden aus dem Westen gekommen, hätten sich schließlich gewaltbereite und gewaltfreie Gruppen getrennt. Seitdem habe sich auch der Gewaltcharakter geändert. Während früher einzelne „Aktionen aus der Distanz“, wie Brandanschläge, typisch für rechtsextreme Täter gewesen seien, werde jetzt Jagd auf die Opfer gemacht: „Das Neue ist die Gewalt am Mann.“

Fast jede Stadt hat inzwischen ihre „Szene“

Inzwischen bilden etwa 1.500 polizeibekannte Neonazis den Kern der rechtsextremistischen Szene in Ostdeutschland, sagt Bernd Wagner. Die sogenannten Hooligans seien dabei noch nicht einmal mit eingerechnet. Den weitaus größten Teil davon stellen jedoch nicht die „Westimporte“, sondern Neonazis, die bereits Anfang der 80er Jahre in der damaligen DDR in Erscheinung traten und sich seit 1987 organisierten. Aktiv sind vor allem die „Nationalistische Front“, die „Freiheitliche Arbeiterpartei“, die „Deutsche Allianz“ sowie speziell in Berlin die „Nationale Alternative“.

Aktionsräume der Neonazis sind zunehmend kleine und mittlere Städte bis zu 50.000 Einwohnern. Regionale Schwerpunkte sind kaum noch auszumachen, fast jede Stadt hat inzwischen ihre „Szene“. „Stärker entwickelt“, so Wagner, sei diese allerdings in Brandenburg und in Sachsen. Im Süden von Berlin, entlang der Oder, von Schwedt über Guben bis Görlitz, wie auch in Leipzig und Magdeburg seien „massive Gruppen“ von Rechtsextremisten aktiv.

Sie alle eint neben einer diffusen Ideologie aus braunen Versatzstücken vor allem der Ausländerhaß. Waren es bis zur Wende überwiegend Vietnamesen und Mosambikaner, die darunter zu leiden hatten, richten sich die rassistischen Attacken jetzt verstärkt gegen die Asylanten. Nach dem Einigungsvertrag müssen die neuen Bundesländer 20 Prozent der Asylbewerber aufnehmen — eine Maßnahme, die die ostdeutsche Bevölkerung unvorbereitet trifft: Bis zur Wende machten Ausländer nur 1,2 Prozent der Gesamtbevölkerung in der DDR aus, in der Alt-Bundesrepublik lag der Anteil bei rund 7,7 Prozent. In Verbindung mit der wirtschaftlichen und sozialen Misere Ostdeutschlands, der mangelnden Orientierung durch den Verfall des alten Wertesystems und der Fremdheit des Neuen entsteht so offenbar ein Nährboden für rechtsextremistisches Gedankengut.

Untersuchungen bestätigen denn auch, daß die strukturelle Ausländerfeindlichkeit, und damit womöglich das Reservoir für den Rechtsextremismus, im Osten Deutschlands deutlich höher liegt als im Westen. Nach einer vom Bundesarbeitsministerium im Februar veröffentlichten Studie war jeder fünfte im Osten lebende Ausländer bereits einmal tätlich angegriffen worden. Besonders hoch, so die Untersuchungen, ist der Ausländerhaß bei Jugendlichen, die Konkurrenz bei Lehrstellen und Wohnungen fürchten.

Für den Staatsschützer Wagner hat daher auch die Bekämpfung der sozialen Ursachen des Rechtsextremismus einen hohen Stellenwert. Die Polizei und der erst im Aufbau befindliche Verfassungsschutz in den neuen Ländern können nur die Symptome bekämpfen, aber das Problem nicht lösen.

Polizei und Justiz sind mit dem Gewaltproblem überfordert

Allerdings, so räumt er ein, sei auch ein „Körnchen Wahrheit“ an dem Vorwurf, Polizei und Justiz in den neuen Ländern seien mit dem Problem rechtsextremistischer Gewalt überfordert. „Die Polizisten sind schlecht ausgerüstet und demotiviert. Hinzu kommt eine Unsicherheit in der Rechtsanwendung und Unerfahrenheit in der Einsatzplanung und -führung.“ Dringend notwendig seien hier Fortbildungsmaßnahmen. Auch müßten endlich Landeskriminalämter geschaffen und die Zusammenarbeit von Schutz- und Kriminalpolizei verbessert werden. Letztlich aber, so Wagner, sei die Politik gefordert: „Die Polizei braucht mehr moralischen Rückhalt.“ Ulrich Kaufmann (dpa)

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