INTERVIEW: Thema Ausländer? — Die Politiker „grenzen es einfach aus“
■ Interview mit Liselotte Funcke (FDP), der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung/ Keinerlei politische Reaktionen auf den von ihr erstellten Ausländerbericht
taz: „Von den Reaktionen auf meinen Bericht mache ich es abhängig, wie lange ich diese Tätigkeit noch ausüben kann.“ Dies, Frau Funcke, haben wir vor vier Wochen von Ihnen gehört, als Sie ihren Bericht vorgelegt haben. Darin kritisieren Sie, daß sich die Lage der ausländischen Arbeitnehmer hierzulande in den letzten 20 Jahren kaum verbessert hat. Sie haben überdies sehr deutlich moniert, daß die Bundesregierung sich für die Belange der hier lebenden Ausländer kaum interessiert. Besonders beklagt haben Sie auch, daß Ihr Büro finanziell und personell sehr schlecht ausgestattet wird. Hat die Bundesregierung auf all dies reagiert? Hat Sie so reagiert, daß Sie ihre Tätigkeit weiter ausüben können — sprich, nicht zurücktreten?
Funcke: Die Bundesregierung hat bisher gar nicht reagiert. Reagiert — und zwar sehr positiv — haben auf meinen Bericht nur die Betroffenen — sprich, vor allem Ausländer und ihre Organisationen. Positiv reagiert haben aber auch die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen, die SPD, die Grünen und die Presse. Dennoch: Ich warte weiter auf eine Antwort der Bundesregierung. Ich warte weiter darauf, ob eine Konstruktion gefunden wird, die wirkungsvoller ist, als es unser kleines Büro mit seinen acht Mitarbeitern sein kann. Wir geben uns zwar große Mühe, aber es reicht einfach nicht aus. Noch in diesem Monat will der Bundeskanzler mit mir sprechen. Vielleicht geschieht danach etwas.
Die Bundesregierung hat sich also nicht geregt. Andere Politiker der Regierungskoalition, also etwa CDU/ CSU oder FDP-Abgeordnete, auch nicht?
Nein. Überhaupt reagiert haben auf meinen Bericht nur wenige — und das unverständig, so unverständig, daß ich mich schon darüber gewundert habe. Ihre Kritik an meiner Kritik ging an der Sache vorbei. Die anderen, die allermeisten, haben geschwiegen. Daß Betroffene dieses Schweigen ängstigt, kann ich verstehen.
Haben die Sie kritisierenden Politiker mit Ihnen Kontakt aufgenommen, sich mit Ihnen unmittelbar auseinandergesetzt?
Nein. Sie verbreiteten lediglich ein paar Presseerklärungen. Sonst kam nichts. Dies entspricht freilich dem üblichen Umgang der Bundesregierung mit dem Thema Einwanderung. Wenn sie sich dazu mal äußert, dann, indem sie auf die EG verweist. Dort müsse alles zum Thema Einwanderung geregelt werden, heißt es. Das stimmt aber nicht. Was in der EG geschieht, ist zwar wichtig. Was auf nationaler Ebene geschieht aber auch. Ich habe schon an mancher nationalen Konferenz zum Thema Einwanderung teilgenommen; nie hatte ich dabei etwas in der Hand, von dem ich behaupten konnte: Dies ist das Konzept der Bundesregierung.
Sie haben bei der Vorlage Ihres Berichtes konkrete Forderungen gestellt: etwa die, daß ein Ministerium oder ein Staatssekretariat für Einwanderung eingerichtet wird. Gab es mindestens auf diese konkrete Forderung eine konkrete Reaktion?
Weder konkrete noch allgemeine. Weder hat jemand gesagt, das sind gute, noch, das sind abwegige Ideen.
Sie sind nun schon seit zehn Jahren Ausländerbeauftragte. Und damit wohl seit zehn Jahren mit diesem Schweigen der Politiker konfrontiert. Worin sehen Sie die Ursachen des Desinteresses?
Es ist ein Thema, mit dem sich — vielleicht außer den Grünen — alle Parteien schwertun. Sie grenzen es deshalb einfach aus und sehen offensichtlich nicht, wie gefährlich es ist, ein in der deutschen Gesellschaft offenes Problem wegzuschweigen. Sie ignorieren also nicht nur die Situation der Ausländer hierzulande. Sie beachten auch nicht die Ängste der deutschen Bevölkerung — und versäumen es deshalb, diesen Ängsten Erklärungen und Konzepte entgegenzusetzen. Wieso das so ist? Ich glaube, die Verantwortlichen reagieren auf das Unbehagen in der Bevölkerung, indem sie einfach nicht über die Einwanderung sprechen. Vermutlich hätten sie ja auch die gleichen Reaktionen zu erfahren wie ich: massive Kritik von Bürgern wegen angeblich zu großer Ausländerfreundlichkeit. Die Furcht vor so etwas darf aber nicht zur Untätigkeit führen. Man muß der Bevölkerung klarmachen, daß und warum Wanderbewegungen in dieser Zeit unaufhaltsam sind und wie man damit umgehen kann.
Sehen Sie bereits Folgen dieser Untätigkeit?
Ja, überall. Nehmen sie die Gewalttätigkeiten Deutscher gegen Ausländer in den fünf neuen Ländern. So etwas kommt von den Ängsten der Menschen vor Einwanderung und Einwanderern — Ängste, die man ihnen nicht genommen hat, obwohl man sie ihnen hätte nehmen können. Dennoch haben die Offiziellen nicht reagiert, haben nicht spätestens da angefangen, die Menschen zu informieren, aufzuklären. Und dies wird nun wiederum erhebliche, schwere Konsequenzen haben.
Sie sehen die riesigen Probleme auf der einen Seite. Sie erleben die Untätigkeit der Politiker auf der anderen Seite. Sind sie nicht manchmal resigniert?
Doch, allmählich schon. Es tut einfach weh zu erleben, wie die betroffenen Ausländer sich nicht als Menschen fühlen können, die ernst genommen werden. Aber nun ist für mich ein Punkt erreicht, an dem ich sage: Entweder es geschieht jetzt etwas, oder ich prüfe, ob ich es unter den gegebenen Umständen noch verantworten kann, weiterzumachen. Interview: Ferdos Forudastan
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