: Provinzialität und Professionalismus-betr.: Über grüne Profis und professionellen KommentatorInnen
Über grüne Profis und professionelle KommentartorInnen
Lieber Klaus Hartung, liebe Gleich- Schreibende, liebe aufbrechende Realiker und Realikerinnen, zu allem und jedem lese ich Eure wichtigen Kommentare, muß ich sie lesen, wenn ich sie nicht einfach ignorieren will, höre ich Eure verwerfenden und vorwurfsvollen Einsichten und Ansichten oder auch nicht. Euch fällt immer etwas ein. Immer das Richtige, an jeder beliebigen Stelle, zum richtigen Zeitpunkt, im richtigen Zusammenhang, heute dies und morgen das. Aus Euch spricht das offenbare Überwissen, das Meta-Gedachte, das Allzeit-Passende, das Schnell- Fundiert-Skizzierte. Aus Euch spricht die Hauptstadt, das Zentrum, das Kosmopolitische, die einzig wahre und gültige Wirklichkeit, das einzig Verbindliche. Ihr seid etwas Besseres, etwas Besonderes, Ihr seid Professionalität, Ihr seid die personifizierte Un-Provinz.
Ihr sagt: Die Provinz, was ist das? Leben da Menschen? Können die denken? Darf man die überhaupt denken lassen? Oder gar handeln lassen? So sagt ihr.
Bei und nach jedem grünen Parteitag sehen wir dieselben ratlosen ratsuchenden, blaßen Gesichter und ratgebenden SchreiberInnen.
Ihr sagt: Wie kann man nur die Basis zu Wort, zum Handeln kommen lassen? Warum nur ist die Basis noch erlaubt? Warum nur stimmt das blöde Fußvolk immer genau anders, als wir es doch wollen und zulassen wollen. Dieses Provinzvolk, diese Laienspielschar! Da denkt nicht der Kopf, da denkt der Bauch. Und außerdem: keine Ahnung haben die von Deutschland und... So kommen wir Profis ja nie zu Potte. Den der Realität Verlustigen muß das immer wieder eingehämmert werden. Aus den Großstädten kommt die Kultur, kommt das Wissen und die Kunst und die Politik und der Kommentar. Draußen spielt sich doch das Leben nicht ab. Aus der Negation der Provinz erst entsteht das reine Denken- Können, das absolute Erfassen aller Wirklichkeit und Wahrheit.
Was spielt es da für eine Rolle, daß wir eine lebendige Kuh nicht einmal vom Sehen, geschweige denn vom Anfassen kennen. Das ist keine Realität, die uns interessiert, das existiert nur draußen. Was liegt uns daran, daß unser Wohnen auf ein paar lausige Quadratmeter zusammengestutzt ist. Wir fühlen uns wohl in unserer Enge, wir brauchen nicht den Platz, unser Platz ist die Politik, ist unser Kommentar, und wir kennen es ja auch nicht anders! Wir brauchen so etwas nicht.
Aber wir brauchen den Profi, wir brauchen die Profin, wir brauchen uns. Wir können es uns nicht leisten, den ganzen Tage damit zu verplempern, kleine Kinder zu großen zu erziehen. Das können die politikbereinigten Laien tun. Das ist provinziell, das ist unprominent, das ist unprofesionell. Das ordinäre Rindvieh auf den Weiden zu halten, den Boden zu beackern, das Holz in den Wäldern zu schlagen und die Reben zu ziehen, das alles können die Laien tun.
Wir Profis, wir machen die Politik. Wir sind von anderem freigestellt. Wir sind die MacherInnen. Die anderen brauchen wir nur, damit sie uns akklamieren und bezahlen können. Im übrigen, was fehlt uns denn? Das Fleisch, das Brot, der Wein, das Holz und das Papier, es ist doch alles im Überfluß da. Das andere, die Irrealität da draußen brauchen wir doch nicht! Die ist für euch! Und macht euch ja nicht daran, an dieser gottgegebenen, natürlichen Auf- und Arbeitsteilung etwa zu rütteln. Daran habt ihr nichts zu ändern. Untersteht euch.
Unsere Parteistruktur dagegen müssen wir ändern. Das hat höchste Priorität! Nicht die Wirtschaftsstruktur, nicht die Arbeitsstruktur, nicht die Gesellschaftsstruktur, nicht die Politikstruktur, nicht die Politik- Institutionen-Struktur! [...] Unsere Parteistruktur müssen wir ändern. Nicht unsere innere Struktur, nicht die Bildungsstruktur, nicht die Infrastruktur, nicht die Energiestruktur, nicht die Weltstruktur. Unsere Parteistruktur müssen wir ändern. Sonst können wir nicht machen, sonst können wir nichts machen. Wenn die Politik-Institutionen-Struktur nun einmal so ist, wie sie ist, so müssen wir sie so akzeptieren. Und nicht hinterfragen und nicht negieren und nichts daran ändern.
Nein, unsere Parteistruktur müssen wir ändern. Und das habt ihr verhindert, ihr unprofessionellen, unprominenten, basisorientierten, provinziellen, linken und „linken“, grünen Grünen und Grüninnen. Das werden wir euch SektiererInnen niemals verzeihen. Wir zerkommentieren euch, wir strafen euch, wir drohen damit. Wir entziehen euch unsere Liebe, wir schmollen. Das wird euch noch leid tun. Was macht ihr denn, wenn ihr einmal ohne Prominente dasteht, wenn sie euch alle verlassen haben? Was macht ihr denn ohne uns? Wer seid ihr denn überhaupt? Dabei wollen wir doch alles für euch tun, für euch machen, für euch denken und schreiben. Und ihr laßt uns nicht! Dann macht es doch selbst! Wir brauchen euch nicht. Wir haben genug ohne euch zu machen und zu tun. Ihr glaubt gar nicht, wieviel es zu kommentieren und zu machen gibt! Und die Strukturen sind uns scheißegal! So sagt ihr.
Voll grünen unrepräsentativen Zorns und aus der tiefsten, immer noch tiefschwarzen rheinland-pfälzischen Provinz und in der hoffnungsfrohen Erwartung auch gedruckt und zerkommentiert zu werden Rainer Stablo,
Morbach-Hundheim
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen