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London verfügt über Kriegsverbrecher-Liste

Dublin (taz) — Die britische Regierung verfügt seit 40 Jahren über Listen mit den Namen von Nazi- Kriegsverbrechern, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Großbritannien niedergelassen haben. Dennoch behauptete sie bis Mitte der achtziger Jahre, daß es in Großbritannien keine Kriegsverbrecher gebe. Der 'Observer‘ deckte jetzt auf, daß die Listen, die vom Geheimdienst MI-5 zusammengestellt worden waren, sich noch immer im Geheimarchiv des Innenministeriums befinden. Der MI-5 hatte — gemeinsam mit Verfassungsschutz und Einwanderungsbehörde — in einer Großaktion unter dem Codenamen „Operation Post Report“ zwischen 1950 und 1952 über 200.000 Menschen verhört, die nach dem Krieg aus Osteuropa immigriert waren. Dabei stießen sie auf Dutzende von Kriegsverbrechern aus den baltischen Staaten, aus Belorußland und der Ukraine, die während des Krieges für die Einsatzgruppen der Nazis gearbeitet hatten. Dennoch wurde nichts unternommen, weil die Operation vor allem dazu dienen sollte, kommunistische Sympathisanten aufzuspüren und Einwanderer zu rekrutieren, die bereit waren, als MI-5- Agenten in ihre Heimat zurückzukehren. Der Historiker Anthony Glees von der Universität Brunel sagte: „Die Beweise sind von enormer Bedeutung. Sie zeigen, daß Großbritannien ein sicherer Unterschlupf für Kriegsverbrecher war.“ David Ceserani von der Wiener Bibliothek in London glaubt, daß die Akten nicht — wie sonst üblich — nach 30 Jahren veröffentlicht wurden, weil sie für den Geheimdienst peinliche Einzelheiten enthalten. „Die Akten könnten beweisen, daß die Geheimdienste bekannte Kriegsverbrecher eingestellt haben“, sagte Ceserani.

Innenminister Kenneth Baker will noch in dieser Woche entscheiden, ob die Akten der „Operation Post Report“ der Polizei zugänglich gemacht werden sollen. Das Londoner Unterhaus hat in der vergangenen Woche gegen den Einspruch des Oberhauses ein Gesetz verabschiedet, wonach Kriegsverbrecher in Großbritannien angeklagt werden können, auch wenn sie zur Tatzeit keine britischen Staatsbürger waren. Königin Elisabeth wird vermutlich heute dieses Gesetz absegnen, das damit sofort in Kraft tritt. Ralf Sotscheck

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