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„Alle unsere Konserven sind verseucht“

■ Französisches Transfusionszentrum soll wissentlich HIV-infiziertes Plasma verteilt haben

Paris (taz) — Das französische „Centre national de Transfusion sanguine“ (CNTS) hat sich schwere Vorwürfe eingefangen: Es soll wissentlich HIV-infiziertes Plasma an Bluterkranke verteilt haben. Das geht aus einem vertraulichen Bericht vom Mai 1985 hervor, den das französische Wochenmagazin 'L'Evenement du Jeudi‘ jetzt veröffentlicht hat. Einige HIV-infizierte Bluter wollen nun das CNTS verklagen.

Michel Garetta, Leiter des CNTS, hatte in diesem Bericht festgestellt, daß statistisch gesehen „alle unsere Konserven verseucht sind“. Für 1.000 Liter Blutplasma sind 4.000 bis 5.000 Spender notwendig. Ein HIV-infizierter Spender reicht schon aus, um die gesamte Konserve unbrauchbar zu machen.

Nach Angaben von 'Le Monde‘ wandte sich Garetta damals sofort an das Gesundheitsministerium mit der Bitte, die weitere Verbreitung des HIV-infizierten Plasmas unter den Blutern und ihren Familien unverzüglich zu unterbinden. Doch es blieb bei der Warnung: Im Juli 1985 war immer noch eine nicht behandelte Plasmakonserve auf dem Markt. Skandalös war auch die Reaktion des Gesundheitsministeriums. Erst im Juli 1985 beschloß die Behörde, daß die Kosten für unbehandelte Konserven nicht mehr erstattet würden — und zwar vom 1. Oktober 1985 an...

Zu seiner Verteidigung betont das CNTS heute, daß es damals so schnell wie möglich für erhitztes Plasma gesorgt habe, denn durch Erhitzen wird das HIV-Virus unschädlich gemacht. In den USA war dieses Verfahren bereits 1984 propagiert worden. Die französischen Laboratorien beherrschten die neue Technik aber erst im Verlauf des Jahres 1985. Ein Verantwortlicher des CNTS räumte jedoch laut 'Libération‘ ein: „Man hätte dabei schneller vorangehen und einige Monate einsparen können.“ Andererseits habe man vor dem Dilemma gestanden, die Bluter entweder zu infizieren oder aber — mangels reinen Plasmas — in Lebensgefahr zu bringen.

Dieses Argument lassen die Bluter nicht gelten. „Seitdem Aids ausgebrochen ist, hat man uns alles vorenthalten; niemand hat uns vor dem Risiko gewarnt, das wir eingehen. Uns wurde nicht einmal empfohlen, die regelmäßigen vorbeugenden Injektionen zu stoppen. Dabei wäre eine Transfusion nur im absoluten Notfall unausweichlich gewesen“, sagte einer der Bluter dem 'Evenement‘, der nun wegen „unterlassener Hilfeleistung“ klagt.

Im Oktober 1990 hatte ein französisches Gericht erstmals das CNTS wegen der HIV-Infektion eines Bluters schuldig gesprochen. Es befand, daß die Fabrikation und Verteilung nichterhitzter Plasmakonserven seit Oktober 1984 ein Fehler gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt hatten internationale Wissenschaftler das neue Verfahren bereits empfohlen.

In Frankreich gibt es 3.000 Hämophile, von denen etwa jeder Zweite HIV-infiziert ist. Etwa 50 Bluter haben aus Unwissenheit ihre Frauen angesteckt, berichtet die französische Vereinigung der Bluter. In den vergangenen zwei Jahren hatten viele von ihnen einen Vergleich mit dem Transfusionszentrum akzeptiert. Das CNTS hat in Frankreich das Monopol auf die Verteilung aller in- und ausländischen Blutplasmen. Bettina Kaps

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