: „Ein naiver Bomben-Glaube sollte Berge versetzen“
■ Dr. Bernd W. Kubbig von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung über „friedliche“ Atomexplosionen
taz: Die Sowjetunion hat bis in die jüngste Zeit in industriellem Maßstab sogenannte friedliche Atomexplosionen ausgelöst. Ist die damit verbundene Radioaktivitätsfreisetzung überhaupt von der Biosphäre fernzuhalten?
Bernd W. Kubbig: Bis in die jüngste Zeit wußten wir über die Praxis sowjetischer Atomexplosionen und ihre Auswirkungen sehr wenig. Was seit Mitte der sechziger Jahre auch im Westen bekannt war, ist eine Explosion, die sich im Südural im Jahr 1957 oder 1958 ereignete. Dabei sollen mehrere hundert Sowjetbürger getötet worden sein. Schon dieses Beispiel zeigt, daß die Auswirkungen nie begrenzbar waren.
Nach den nun vorliegenden Informationen sind die unterirdischen Explosionen gezielt so durchgeführt worden, daß sie an der Erdoberfläche Krater oder Gräben zum Kanalbau hinterließen. Was passiert mit den radioaktiven Stoffen?
Das ist im Zusammenhang mit den amerikanischen Atomwaffentests sehr gut untersucht worden. Wir haben zunächst radioaktive Wolken, die sich lokal und regional niederlassen. Aber auch in Kanada und sogar Europa sind die Auswirkungen gemessen worden.
Wie wirken sich solche Atomexplosionen langfristig in der Region aus?
Natürlich heißt das Verseuchung der gesamten Biosphäre, auch der Menschen. Das läßt sich nicht von heute auf morgen aus der Welt schaffen. Daß die Sprengungen für sogenannte „friedliche Zwecke“ jetzt ein Ende gefunden haben, heißt leider nicht, daß es auch keine Strahlenopfer mehr gibt. Jetzt kommt es darauf an, die Informationen genau zu sichten, Meßtrupps dorthin zu schicken und zu untersuchen, welche Auswirkungen es ganz konkret gegeben hat und noch gibt.
Was hat die sowjetischen Atomtechnologen getrieben, die Bevölkerung mutwillig solchen Gefahren auszusetzen?
Das war der naive Glaube, dem beide Supermächte unterlagen, daß man mit diesen Kernsprengungen im wörtlichen Sinne Berge versetzen, Flüsse umleiten oder Meerwasser entsalzen kann. Man hat deshalb die Sprengsätze bewußt nur 60 oder 70 Meter unter der Erde eingebuddelt, um einen ganz bestimmten Krater zu erhalten. Kurz- und langfristige Auswirkungen hat man einfach in Kauf genommen.
Atomexplosionen zu „friedlichen Zwecken“ sind auch in der UdSSR vor drei Jahren beendet worden, die unterirdischen Waffentests gehen weiter. Sind Auswirkungen dieser Versuche weiter zu befürchten?
Sie sind an der Tagesordnung, wenn auch natürlich geringer als bei den früheren überirdischen Tests. Aber es kommt nach wie vor zu sogenannten „Ausbläsern“, bei denen Radioaktivität in die Atmosphäre gelangt. In den US-Testgeländen in Nevada und Utah wurden beispielsweise zwischen 1964 und 1970 insgesamt 97 solche „Ausbläser“ gemessen.
Könnten die Informationen, die nun aus der Sowjetunion stückweise zu uns gelangen, letztlich den endgültigen Stopp auslösen?
Das kann sehr wohl sein. Auch die überirdischen Tests wurden Anfang der sechziger Jahre auf massiven Druck aus den Bevölkerungen hin beendet. Das setzt natürlich voraus, daß sich überall in den betroffenen Staaten die entsprechenden Gruppen bilden und auch ein internationales Forum geschaffen wird, das die ökologische Komponente der Waffentests betont. Entscheidend wird aber der sicherheitspolitische Aspekt bleiben. Gerd Rosenkranz
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