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Kamerun auf dem Weg zur Anarchie

■ Ultimatum der Opposition zur Einberufung einer Nationalkonferenz läuft ab/ Regierungsnahe Schlägertrupps heizen Gewalt an

Berlin (taz) — Dem zentralafrikanischen Kamerun stehen möglicherweise einige heiße Wochen bevor. Mehrere Oppositionsparteien hatten der Regierung unter Präsident Biya Ende April eine Frist bis zum vergangenen Freitag gesetzt, um eine Nationalkonferenz einzuberufen. Andernfalls würden sie „eine Kampagne des zivilen Ungehorsams im ganzen Land“ einleiten. Die Regierung handelte nicht, und am Wochenende beriet die Opposition über ihr weiteres Vorgehen.

Bereits seit über sechs Wochen wird Kamerun von Gewalt erschüttert. Nahezu täglich kommt es in der einen oder anderen Stadt zu Demonstrationen, die meist von Polizei und Armee blutig aufgelöst werden. Häufig werden Gebäude der Regierungspartei „Demokratische Sammlung des kamerunischen Volkes“ (RDPC) oder solche, die als Symbole der Staatsmacht gelten, angezündet. Die Proteste breiten sich unkontrolliert aus wie Buschfeuer, keine einzelne Gruppe übt irgendeine Kontrolle über die aufbegehrende Bevölkerung aus. So ist auch nicht bekannt, wie viele Menschen ums Leben gekommen sind. Die Opposition spricht von mehr als 100, die Regierung von 20. Es gibt Gerüchte, wonach um die 50 Studenten in Polizeigewahrsam gestorben seien, doch die Regierung sagt, es seien nur zwei Studenten in Haft.

Ab heute wollen in der Hauptstadt Jaunde die Studenten der Universität den Unterricht boykottieren, um unter anderem den Rücktritt des Premier- und des Bildungsministers und die Freilassung der inhaftierten Studenten durchzusetzen. Die Universität ist seit dem 26. März vom Militär besetzt. Anfang letzter Woche flüchteten Tausende von Studenten vom Gelände, nachdem ein regierungsnaher Schlägertrupp namens „Action directe“ eine Studentenversammlung mit Messern und Macheten angriff. Es gab vier Tote; am Mittwoch und Donnerstag griff die Gewalt auch auf die Stadt über.

Für die Opposition ist klar, daß die Regierung unter Präsident Paul Biya ethnische Konflikte provoziert, um das Gespenst eines Stammeskrieges an die Wand zu malen und sich dann als Retter der nationalen Einheit zu präsentieren. Die Gruppe „Action directe“ gehört zu mehreren ihrer Art, die sich aus dem Volk der Beti rekrutieren, dem auch Biya angehört. Mit Waffen aus dem Ausland greifen Beti-Gruppen Mitglieder anderer Ethnien an.

Zwar begann die Protestwelle im ehemals englischen Westen Kameruns, angeführt von der anglophonen „Sozialdemokratischen Front“. Doch die Unzufriedenheit hat schnell alle Landesteile erreicht, ohne daß andere Parteien sonderlich aktiv werden mußten. Jugendarbeitslosigkeit und Kriminalität steigen, der Staat ist so gut wie pleite; Rechtsstaatlichkeit ist ein Fremdwort.

Während vergangene Woche die Spannungen anstiegen, weilte Präsident Biya in den USA. Dort ließ er sich einen Ehrendoktorhut aufsetzen und 20 Millionen Dollar Wirtschaftshilfe versprechen. Ja, es gebe „einige wenige Unruhen“, erklärte er, doch sei Kamerun auf dem Weg zur „vollen Demokratie“. Innerhalb der RDPC macht sich unterdessen Zukunftsangst breit. Ein „progressiver Flügel“ der Regierungspartei unter Führung des als „Reformer“ auftretenden RDPC-Sektionspräsidenten Jean-Jacques Ekindi traf sich am Wochenende, um die sofortige Einberufung eines Parteikongresses zu fordern, auf dem über eine Beteiligung der Opposition am politischen Prozeß gesprochen werden müßte. Dominic Johnson

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