PRESS-SCHLAG: Macht es nicht!
■ Der Nichtangriffspakt von Wattenscheid
Die Knie im leichten Winkel auf den Turnschuhsohlen wippend, alle zehn Finger beschwörend gespreizt, dann mit einer Hand durch das weißgraue Haar fahrend — die Körpersprache des Fußball-Lehrers Karl-Heinz Feldkamp, dosiert und wohltemperiert eingeübt, verrät den Gestus des Überlegenen. Souverän auch in bangen Minuten. Einer wie Feldkamp, dieser elder coachman unter den Trainern, steht über dem Ball. Und so spricht er denn auch über den Fußball an und für sich und wählt, wie sonst nur Maradona, die dritte Person: „Der Kalli Feldkamp ist ein harter Arbeiter.“
Er versteigt sich gern ins Sozialphilosophische, sagt, er habe die Angst in den Augen der Pfälzer gesehen, die Region brauche Hoffnung, daß es den Menschen wieder besser gehe. Brot und Spiele, der Spitzenreiter der Bundesliga liefere da seinen Teil. Auch wenn das Erscheinen des 1. FC Kaiserslautern beim Aufsteiger Wattenscheid einen Beitrag zur Kunst des Brotlosen abgab, Fußball zum Weglaufen. Ein Zuschauer-Jogging, bei dem die Wattenscheider kräftig mithielten.
In einem überaus herzlichen Freundschaftsspiel übten sich zwei Mannschaften über neunzig Minuten torlos, aber erfolgreich in der Dialektik der Verweigerung. Feldkamp: „Keiner hatte den Drang zum Erfolg.“ Trainerkollege Hannes Bongartz: „Niemand wollte verlieren.“
Sprach der Wattenscheider Coach vor dem Anpfiff noch von „herzlichem Zündstoff“, lieferte Feldkamps Kalli später den tieferen Grund beidseitiger Torvermeidung. Da dozierte er über den wahren Gehalt von Freundschaft und befand, sie erweise sich immer dann, wenn man sie wirklich brauche. Man muß wissen: bei der Eheschließung von Helma und Karl-Heinz Feldkamp stand Klaus Steilmann Pate. Der Wattenscheider Patron, Textil-Multi und Mäzen war Trauzeuge.
Das war damals, ein Vierteljahrhundert her. Der Einstieg des Kalli Feldkamp als Fußballtrainer geschah in Wattenscheid. Auf Anhieb klopfte er im Jahre 1974 in der Aufstiegsrunde überraschend heftig an die Bundesligapforte. Mit einem genialen Strategen im zentralen Mittelfeld: Hannes Bongartz, damals Wattenscheider — und heute wieder. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn man sich unter Männern freundschaftlich null zu null aus dem Weg geht. Der Punkt schließlich hilft beiden, und man hilft sich auch sonst.
Wattenscheid beschäftigt mit den Spielern Hartmann, Emmerling, Moser und Kohr vier Ex- Lauterer. Zwei weitere wurden soeben für die nächste Saison verpflichtet. Kein Problem für Hannes Bongartz, der in den Achtzigern am Betzenberg zunächst spielte und dann trainierte. Deshalb dieser „herzliche Zündstoff“ ohne Pulver und Lunte, bei dem der Spieler Emmerling in der Nacht vor dem Freundschaftstreffen von Schüttelfrost befallen ausfiel. Ein frühauffälliges „Ordenewitz-Symptom“, quasi die körperliche Entäußerung eines Verdacht-Erregers? Immerhin, die Bundesliga lebt seit dem letzten Pokaldienstag mit dem Ruch der vorsätzlichen Herbeiführung eines Platzverweises. Sollte jetzt der Anstiftung durch den Kölner Coach Erich Rutemöller („Mach es!“) eine plurale Kungelei gefolgt sein? Etwa ein kollektives „Macht es nicht“? Kein Sommerloch für DFB-Ankläger Hans Kindermann?
Doch anders und klüger als die ehrliche Haut Rutemöller wollte Kalli Feldkamp lediglich einen „Nichtangriffspakt in den letzten fünf Minuten“ einräumen. Da können selbst Tototipper ihren Einsatz für eine Siegwette nicht zurückfordern. Ernst Thoman
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