Die Angst vor tretenden Frauen

Frauen-Radsport gilt bei vielen Männern als unweiblich und wird dementsprechend stiefmütterlich behandelt. Denn im Verband sind — bis auf die obligatorische Alibi-Frau — nur Funktionäre  ■ Von Ina Kerner

Biegt man kurz vor dem rheinischen Dorf Aldenhoven links ab, schlängelt sich der Feldweg einen Hügel hinauf. Hügel sind rar in der Gegend, Franz Hünerbein läßt deshalb spurten. „Allèz Männer, bis oben rennmäßig!“ feuert er an. 20 Lycra-Radhosen erheben sich aus den Sätteln. Franz Hünerbein ist Jugendtrainer des Renommier-Vereins VfR Büttgen. Seine Männer fahren bei allen Rennen vorne mit. Drei seiner Männer heißen Melanie, Claudia und Alexandra.

Das war vor vier Jahren. Heute ist dem VfR als einzige Juniorin die Doppel-Weltmeisterin Ina-Yoko Teutenberg geblieben: „Den meisten ist es zu hart geworden. Die wollen sich nicht mehr richtig anstrengen“, sagt sie zum Rückzug ihrer Kolleginnen.

Der Frauenradsport ist in der Krise. Denn außer den Fahrerinnen fehlen die Rennen: „Es finden kaum Frauenwettbewerbe statt dieses Jahr. Ich versteh das auch nicht“, erklären lächelnde Wettfahr-Ausschuß-Herren aus Zielwägen heraus. Die Funktionäre rätseln. Die Funktionärinnen überlegen: „Letztes Jahr waren oft drei Rennen am Wochenende. Die Fahrerinnen haben sich natürlich verteilt. Jetzt sagen die Sponsoren: Für so wenig Teilnehmerinnen haben wir kein Geld. Ohne Finanziers gibt es keine Rennen“, so die neue Frauenwartin Ute Markl.

Marion Engel aus der Geschäftsstelle des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) glaubt, der Mountainbike- Boom klaue dem Frauenrennsport die Fahrerinnen. Und sie sieht die Frauenrennen als Opfer vollgepackter Renntage: „Wenn die Zeit knapp ist, werden die Frauenwettbewerbe gestrichen oder gekürzt. Die Distanzen bei Frauenrennen sind deshalb oft lächerlich.“ Und auch Ursula Stiefl, jahrelange Markl-Vorgängerin und nun als Breitensport-Beauftragte erste Frau im BDR-Präsidium, meint: „Der Leistungssport ist heute so brutal hart, daß sich die meisten sagen: Nö!“ Brutale Härte lockt und hält nur wenige Fahrerinnen, wenige Fahrerinnen sind für Sponsoren uninteressant, ohne Sponsoren gibt es keine gute Betreuung, ohne gute Betreuung keine wirklich guten Fahrerinnen. „Die Stimmung im Kader ist sehr schlecht“, sagt Stiefl.

„Ich bin gegen Frauenradsport“

Die Veranstalter sind meistens Männer. Oft ohne Vorliebe für spurtende Frauen: „Die sind viel zu langsam, die halten das ganze Rennprogramm auf“, meint Olaf Gottschalk, ein Hünerbein-Mann. Friedhelm Kirchartz warnt besorgte Juniorinnen-Mütter über die Theke seines Büttgener Fahrrad-Ladens hinweg, daß er seine eigene Tochter keine Rennen fahren lassen würde: muskulöse Beine schadeten der weiblichen Figur. Und Willi Belgo, nordrhein- westfälischer Landesverbands-Trainer, erklärt einer verwirrten Fahrerin, die nicht weiß, ob sie weitertrainieren oder aufhören soll: „Also um das mal klar zu machen: Ich bin gegen Frauenradsport.“

Wie kann frau mit solchen Menschen zusammenarbeiten? „Früher war es noch schlimmer“, meint Ute Markl. Das abfällige Gerede habe sich etwas gelegt. Und Ursula Stiefl scheint sich zu freuen, wenn sie sagt: „Die haben umgedacht, denn unsere Mädchen waren sehr erfolgreich. Die Funktionäre haben die Mädchen kennengelernt, und es waren durchweg nette, hübsche Mädchen, die man einfach akzeptieren mußte.“

Ute Markl macht die Frauen selbst für derartige hanebüchene Verhältnisse verantwortlich: Frauen sollten mehr ins FunktionärInnen-Licht treten. Doch Ursula Stiefl weiß um die Probleme: Eine „Glucke“ nannten sie die BDR-Vorständler, als sie sich als Frauenwartin dafür einsetzte, daß die Kaderfahrerinnen ihre Berufsausbildung beenden können. Die Männer verstehen nicht die besondere Situation der Frauen: Für Radsportlerinnen gibt es weder Startprämien noch eine Bundeswehr-Sportkompanie, noch die Aussicht, einmal als Profi zu fahren.

Nachdem sie sich vorwerfen lassen mußte, sie passe nicht zum Leistungssport, ging Stiefl. Und kam Anfang des Jahres zurück. Die Radfahrbund-Verwalter hatten sie gebeten, sich um den Breitensport zu kümmern, und Stiefl ließ sich bitten. Jetzt schwärmt sie vom „unheimlich dollen Gefühl: Die Herren im Präsidium haben mich voll akzeptiert“. Ihr Fazit als ehemalige Frauenwartin: „Die Mädchen brauchen gar keine Emanze, die auf den Tisch haut. Die brauchen eine Freundin, mit der sie reden können.“ Gut findet sie plötzlich, daß die Sportwarte keinen Unterschied zwischen Fahrerinnen und Fahrern machen.

Auch trauen sich die meisten Frauen nicht zu, Trainerin zu werden. „Ich glaube, ich bin die einzige Frau mit A-Trainer-Schein“, sagt Ute Markl. Lediglich eine Radsport- Betreuerin in Leipzig fällt ihr noch ein. Ohnehin entscheiden sich die Funktionäre eher für einen Mann. Denn schließlich werden „Frauen, wenn sie ihre Radsportkarriere beendet haben, meistens Mütter und Ehefrauen.“

Der Rennsport ist eine Männerwelt

Die zugehörigen Väter und Gatten lesen, wenn sie ihre Radsportkarriere beendet haben, immer noch den Katalog von „Radsport Brügelmann“. 630 Hochglanz-Seiten Superauswahl bietet er, zum Beispiel „Das superheiße Radsportposter aus Schweden“, mit viereinhalb Dutzend nackten Rennfahrerinnen in Startaufstellung. Oder weitgeöffnete Reißverschlüsse eines dickbusig-lächelnden Fotomodells. Zum Ausgleich bietet die Radkonsum-Bibel lediglich einen mäßig erotischen Mann in roter Badehose. Der wirbt auf Seite 603 für Massage-Rückengurte. Der Rennsport ist halt doch noch Männerwelt.