: Goldene Rosine für Henning Röhl
■ Selbsternannte Medienkontrolleure gaben sich in Erlangen ein Stelldichein
Sein Schlüsselerlebnis liegt Jahre zurück. 1984 war es, als Hansjörg Klein, Pressestellenleiter der Siemens-Tochter KWU in Erlangen, erfahren mußte, daß die Medienwelt böse ist. Da hatte sich das stolze Ehrenmitglied des Verbandes Deutscher Ingenieure (VDI) redlich bemüht, den Medienmachern das kleine Einmaleins der Industrie beizubringen, und dann stellten diese die Arithmetik einfach auf den Kopf. Das widersprach dem „Gerechtigkeitsgefühl“ von Hansjörg Klein. Und „aus Sorge, über den sich in den Medien ausbreitenden, von Ideologie und Wirtschaftsfeindlichkeit geprägten Zeitgeist“ gründete der langjährige Ortsvorsitzende der CSU einen Verein: Den Verein „Bürger fragen Journalisten“.
Knapp sieben Jahre später zählt die bundesweite „Bürgerinitiative“ nach eigenen Angaben 1.400 Mitglieder. Im fünf Mann starken, ehrenamtlichen Vorstand tummeln sich neben Klein und anderen mit dem VDI-Vositzenden, Dr. Frank Morell, „der bedeutendste Atomwissenschaftler“ der Nation. Schließlich ziert den Verein ein neunköpfiges Kuratorium, das vom Kölner Empirie-Professor, Dr. Erwin K. Scheuch, über Dr. Nikolaus Lobkowicz, Marxismusforscher und Präsident der Uni Eichstätt, bis hin zum Münchner Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Dr. Peter Lerche, reicht. „Bürger fragen Journalisten“ sind ein illustrer Verein, der angetreten ist, die „selbsternannten Kontrolleure im Staate“ — sprich Journalisten — zu kontrollieren.
Vor allem Journalisten der öffentlich-rechtlichen Anstalten hat man im Visier, denn die sind via Staatsvertrag an klare Leitlinien gebunden. Institutionen aber, die darüber wachen sollten, daß die Wirklichkeit wahrheitsgetreu und möglichst ausgewogen abgebildet wird, diese Institutionen haben nach Vereinsmeinung versagt. So ist der Rundfunkrat für den Vorsitzenden Klein nichts anderes als „eine Altherrenriege, die schläft“ und wegen der zahlreichen Ehrenämter seiner Mitglieder überhaupt keine Zeit hat, das Programm der Anstalten richtig zu verfolgen.
Ganz anders dagegen der Verein „Bürger fragen Journalisten“. Sie verfügen inzwischen über ein „einzigartiges Archiv“, bestückt mit allen politischen Magazinsendungen, die in den letzten fünf Jahren ausgestrahlt wurden. Ein „Bürgertelefon“ registriert rund um die Uhr Beschwerden der Mitglieder und „Sympathisanten“, wann immer diese „Manipulationen oder Fälschungen“ über den Bildschirm flimmern sehen. Die Liste der vom Verein ausgemachten, über die Rundfunkgebühren „zwangsernährten Minderheit“, die „indoktriniert und manipuliert“, „die Mikrophon und Kamera mißbraucht“ und verantwortungslosen „Kampagnen-Journalismus“ betreibt, wird angeführt von Klaus Bednarz. Der Monitor- Chef ist „ein Lump“ nach Worten von Klein, „eine Unzierde“ im Sprachgebrauch des Kurators Scheuch.
Die Erlanger Vereins-Geschäftsstelle mit neun Beschäftigten prüft die Beschwerden der Kontrolleure, analysiert, betreibt Nachrecherchen (z.B. mit VDI-Hilfe) und setzt sich mit den Verantwortlichen — Intendanten und Redakteuren — in Verbindung. „Wir haben viele Freunde“, so Klein, „auch unter den Journalisten.“ Einige von ihnen folgen wie Bürger, Politiker, Wissenschaftler der alljährlichen Einladung des Vereins zu den „Erlanger Medientagen“. So auch am letzten Wochenende. Zum sechsten Mal veranstaltet, war das Forum der „Begegnung und des Dialogs“ erstmals dem Freistaat Bayern 30.000 DM Zuschuß wert. Das ist zwar nur ein „Kleckerbetrag“ für den Vorsitzenden Klein, der beim Mittelstand „auf Betteltour“ geht und sich darüber empört, daß die Deutsche Bank nur 3.000 DM für den Verein übrig hatte, und weil er weiß, daß sich die bayerische Staatsregierung die Münchner Medientage 2,1 Millionen Kosten läßt; aber immerhin macht der Betrag ein Fünftel der Summe aus, die der Verein für Kost und Logis der 250 geladenen Gäste im Transmar-Hotel aufbringt. Die Referenten kommen auch ohne Honorar: vom Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, als Betroffener eines Kesseltreibens, Vorstandsmitglied Dr. Jürgen Rohweder, Howaldwerke-Deutsche Werft AG oder der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, „Freund“ Heinz Klaus Mertes oder der Leiter des Wirtschaftsmagazins WISO im ZDF, Hans Ulrich Spree. Sie alle suchten Aufwort auf die Frage: „Medien und Wirklichkeit — ein gestörtes Verhältnis?“ Und sie alle wohnten der Preisverleihung der „Goldenen Rosine“ an den „wackeren Journalisten“ Henning Röhl bei, der als CDU-Mann den Chefposten bei ARD-Aktuell übernahm. „Wer sich in den Hagel fauler Tomaten 'reinbegibt, der ist wahrlich eine goldene Rosine wert“, so Enno von Loewenstern, Chefkolumnist der 'Welt‘ und Rosinenträger 1990. Verliehen wird die „Goldene Rosine“ an Journalisten, „denen man viel mehr Einfluß wünscht, als sie schon haben“, so Scheuch für einen Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, eine persönliche Haftbarkeit der Journalisten durchzusetzen. Wehe dem, der hinter all dem Böses oder gar Lobbyarbeit vermutet. „Wir wollen die Ausgewogenheit“, so Vorsitzender Klein. Karla Anton
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen