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„Ich bin kein Bestseller“

Arbeiten von Nancy Spero in der Glyptothek München  ■ Von Luisa Francia

Vor der Glyptothek in München steht Nancy Spero, zierlich, um nicht zu sagen dürr, sie friert und sie sucht verzweifelt nach ihren coughing pills from Switzerland. Sie ist müde vom Flug, aber gleichzeitig freudig erregt über die Ausstellung ihrer Werke zwischen den Statuen und Köpfen der klassischen Antike in der Glyptothek. In den hohen, hellen Sälen, umgeben von kopflosen Helden, knackigen Griechenhintern und makellos geformten Gestalten der griechischen Mythologie, springen Nancy Speros kühne Frauengestalten die BesucherInnen an. Eine aufregende Kulturbegegnung: die frauenarme, ja frauenfeindliche Kunst der klassischen Antike gegen die Bilder der New Yorker Künstlerin Nancy Spero, auf denen Frauen klagen, rennen, tanzen, vorwärts stürmen. Die selbstbewußte Aphrodite der Nancy Spero trifft hier auf ihr makellos-langweiliges Vorbild. Nancy Spero stellt ihre Frauenbilder aus allen Zeiten und Kulturen zu spannungsgeladenen Bildfolgen zusammen. In Amerika ist sie damit mittlerweile zu einer Kultfigur geworden, und selbst in Deutschland fängt sie an, konservative Kulturkritiker mitzureißen, was, wie man weiß, ungefähr so schwer ist, wie einen Pudding an die Wand zu nageln.

Klaus Vierneisel, der unkonventionelle Leiter der Glyptothek, der schon Jim Dines Arbeiten zwischen seinen Antiquitäten ausstellte, gefiel die Idee von Barbara Gross, der Münchner Galeristin Nancy Speros, und machte die Ausstellung möglich. In spielerischer Folge irritieren Nancy Speros Collagen zwischen den Marmorbüsten und -reliefs. Fast demonstrativ wirkt es, daß im Saal der Krieger keine Amazonen dazwischenfunken, keine Göttinnen springen. Ein politisches Signal?

Wir wandern durch die Glyptothek, deren Ausstellungsräume kreisförmig angelegt sind. Die Stimme zum Flüstern reduziert, weil sie sonst so hallt, frage ich sie, ob diese Heiligkeit des Raums nicht ein bißchen belastend wirkt?

„Ich finde, daß meine Arbeiten gut zur klassischen Kunst passen, und ich finde diese Räume aufregend. Ich hatte ja schon antike Göttinnen in meinen früheren Arbeiten, aber ich habe mich von Klaus Vierneisel und Barbara Gross anregen lassen, spezill für diese Ausstellung einige neue Frauengestalten zu entwerfen. Meine Collagen sind Kombinationen von Frauen aus der Vergangenheit, auch aus der Antike bis zur Gegenwart.“ Tatsächlich hat sie in den neuesten Arbeiten auch Frauen im Minirock, Fotomodelle als Kontrast zu Aphrodite und Sheela naGig (das sind uralte Gesicht-Vulva-Idole, die sich schon auf den frühesten romanischen Kirchen als Schutzsymbole finden) eingebaut. Ein Wärter steht mit halb geöffnetem Mund vor The Goddness Nut, dem größten Werk dieser Ausstellung, das aus sieben Collagen-Paneelen besteht. Nancy Spero gelingt es, mit der Zusammensetzung ihrer Frauen die gewohnte optische Erwartung zu irritieren: die mythische Göttin tröstet die vietnamesische Bäuerin, die uralte weibliche Idolfigur hockt im Hintergrund eines Bildes, in das Aphrodite einschwebt...

Frauen waren nicht immer Protagonistinnen von Nancy Speros Arbeit. Aber selbst in der Zeit ihrer Artaud-Paintings, als sie sich, wie so viele junge AmerikanerInnen in den sechziger Jahren, Antonin Artauds Schriften und seinem Theater der Grausamkeit zuwandte, das auch Jim Morrison oder den Dichter Michael McLure inspirierte, selbst in der Zeit ihrer War-Series, die sie als ihre zornigsten Arbeiten bezeichnet, konzentrierte sich ihr Zorn hauptsächlich auf ihre Situation als Künstlerin, auf die Frustration darüber, daß sie keine Stimme zu besitzen glaubt. „Wir lebten damals in Paris“, erzählt Nancy Spero, wir, das sind Leon Golub, ihr Mann, und ihre drei Söhne. „Ein Freund, ein Dichter, übersetzte uns Artaud. Das hat mich gefesselt. Er ist vielleicht der einzige Mann, der die Leidenssituation von Frauen selbst erlebte: nicht gehört, sprachlos! Immer wieder gibt es das Bild der abgeschnittenen Zunge, die Kritik an der Bourgeoisie. Er plädiert für die Stimme des Künstlers, die erst wahrgenommen wird, wenn er tot ist. Artaud war meine sprachliche Krücke. Ich ging in feministische Studygroups, und schließlich gründeten wir eine Galerie nur für Frauen. Während des Vietnamkrieges entstanden die Bilder der War-Series. Ich fing an, mehr über die Situation von Frauen, über meine Situation, nachzudenken. Ich hatte das Gefühl, in einer herzlosen, achtlosen Welt zu leben, in der nur die Stimme des Mannes zu hören ist.“

Die Konsequenz aus diesem Bewußtseinsprozeß: Ihre Arbeit kreiste immer mehr um die Situation der Frauen, während sie sich wütend, kreativ mit ihrer Rolle als Mutter von drei Knaben, als Malerin und Ehefrau auseinandersetzte. Auf die War- Series folgte Normal Love, Handdrucke auf Papier, in denen sie erstmals Stempeldrucke verwendete und schließlich Torture of Women, Collagen, in denen Handdruck, Maschinenschrift und Bilder verwoben sind. „Was ich wirklich wollte“, sagt Nancy Spero über ihre ausdrücklich feministische Arbeit, die mit Torture of Women begann, und mit der sie schließlich weltberühmt wurde, „war, die Frau als universelles Symbol zu nehmen und nicht das männliche, phallische. So würden die weiblichen Riten des Übergangs, Geburt, Pubertät, Gebären, Tod, Universalität erlangen, anstelle der männlichen Vorstellung. Doch ich finde nicht, daß The First Language [ihre neuen Werke] nur für Frauen gedacht sind.“

Die Technik, in der Nancy Spero ihre Arbeit seit Torture of Women druckt und collagiert, ist mittlerweile zu ihrem Markenzeichen geworden. „Ich habe ungefähr 160 Stempel von Frauen aller Zeiten, aller Kulturen angefertigt. Ich möchte damit eine Art Simultaneität von Frauen durch die Zeit schaffen. Wenn ich einen Sempel entwerfe, arbeite ich so lange an der Originalvorlage, bis die Frau den Ausdruck, die Gestik hat, die ich suche. Manche Stempel drucken den Umriß, manche die Innenflächen. Ich stelle die Bilder im Handdruckverfahren her und überdrucke mehrere Schichten ausschließlich nach visuellen Gesichtspunkten. In der Kombination liegt nicht ,die Botschaft‘. Ich bin eine visuelle Künstlerin. Die neuen Arbeiten sind zum Teil mehrfach überdruckt und ich habe gedruckte, ausgeschnittene Figuren eingefügt.“

Obwohl Feminismus auf den Kunstmarkt nach wie vor sehr ernüchternd wirkt, hat Nancy Spero es gerade mit ihren radikalsten Arbeiten geschafft, zur Kultfigur zu werden. Yes, but I'm no Bestseller! grinst sie. Versonnen steht sie vor der Collage Earth and Water. „Ich möchte mit meinen Bildern wirklich keine weltbewegenden Aussagen machen. Sie sind mein persönlicher Ausdruck, meine visuelle Umsetzung. Ich möchte etwas tun, das lebt. Es stimmt, daß Frauen Opfer sind, daß das Leben mies mit ihnen umspringt. Aber meine Frauen stürmen auch die Zukunft. Sie haben Power.“ Power hat auch Nancy Spero, die so verletzlich wirkt und so zäh, mit vierundsechzig, den Kunstmarkt stürmt. „Bist du Feministin, Nancy?“ „Was glaubst du?“ lacht sie. „Ich habe einen Mann, drei männliche Kinder und einen männlichen Hund... Natürlich bin ich Feministin. Feministisch — das ist wirklich ein schmutziges Wort. Ich weiß, daß viele Künstlerinnen davor zurückschrecken, mit Feminismus in Verbindung gebracht zu werden. Ich finde auch, daß es mich ein wenig einschränkt. Sagen wir, ich bin eine zornige Frau. I am an angry woman.“

Der Museumswärter starrt blicklos auf Hera, eine der Früchte ihres Zorns. Die untergehende Sonne entzieht den hohen Hallen endgültig das Licht. Nancy Speros Frauen sind auf dem Sprung.

Nancy Spero lebt und arbeitet in New York, am Rande von Soho. Ihre Arbeiten sind bis zum 16.Juni 1991 in der Glyptothek zu sehen und in der Galerie Barbara Gross, Thierschstraße 51, 8000 München 22. Vom 4.Juli bis 3.August geht die Ausstellung ins Künstlerhaus nach Salzburg.

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