■ Sowjetskij Sojus Sozialismus, Staatssicherheit,

Kabarett, nee, nee, bloß nicht Kabarett, geht es einem durch den Kopf, eine leere Worthülse neben der nächsten, offene Türen, die eingerannt werden, Kohl-Witze bis zum Erbrechen, Hampelmänner auf der Bühne, denen man kein Wort abnimmt und die ab und zu glauben, singen zu müssen, nein, kein Kabarett, weil selten wirklich gut.

Und doch ist es dann anders im Kartoon, der Kneipe zum Kabarett in Berlin Mitte. Hier werden Cartoons ausgestellt, die vor der Vorstellung neben »echt Berliner Kartoffelsuppe« und vor allem Bier die Zeit vertreiben.

Die Kneipe ist witzig — trotz aller Weißpinselei und modischem Outfit haftet ihr ein wenig der alte DDR-HO-Muff an. Vielleicht liegt das an den Kellnern: streng schwarzweiß gekleidet, mit Schürzchen und Gesundheitslatschen absolvieren sie ihren Dienst, leider ohne die professionelle Unfreundlichkeit, die doch so manchen früheren Kneipengang im Ex-Osten erst zu einem richtigen Erlebnis machte. Doch plötzlich kommt es zum Streit zwischen Kellner und Gast. Und schon ist man mittendrin im Programm der Kartoon-Kabarettisten: »Wir müssen alle dran glauben«.

Das Unerwartete passiert: dieses Programm macht Spaß. Den beiden Kellnern, Frau und Mann, glaubt man, was sie sagen, sie sind schnell und professionell (kein Wunder, der Start dieser Truppe ist in den siebziger Jahren zu finden), und spielen mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten. So besingt eine Frau zum Beispiel ihren starken S-Fehler und die damit verbundenen Schwierigkeiten in der DDR: Sozialismus, Staatssicherheit, Sowjetskij Sojus.

Sicherlich, das Programm bleibt Kabarett mit den oben genannten Vorbehalten, aber es ist ausnahmsweise unterhaltsam und hat ein ungewöhnliches Konzept: Kellner ist Kabarettist, Kabarettist ist Kellner. Und der Kellnerbereich ist nicht nur Mittel zum Zweck, beide Jobs haben den gleichen Stellenwert am Abend. Für Leute, die Kabarett mögen oder solche, die es noch nicht ganz genau wissen, ist das Kartoon auf jeden Fall eine Bereicherung. Kartoon Kabarett Kneipe, jeden Abend um 21.00 außer montags, wechselndes Programm. Anja Poschen