: Neu im Cinema: Ein Engel an meiner Tafel
Wenn Frauen zu viel leiden, dann handelt es sich meist um Künstlerinnen: verkannt, in Wahnsinn oder Selbstmord endend oder, noch schlimmer, als Fußnote in der Männer-Kunstgeschichte marginalisiert. Und je passionsreicher das Leben von Künstlerinnen ist, desto attraktiver für den modernen Feminismus, der eine Opfergeschichte nach der anderen ausgräbt und sich nicht einmal scheut — wie im Fall der neuen Biografie über Virginia Woolf —, aus Tagebuchnotizen frühkindliche sexuelle Mißhandlungen herauszudeuten.
Was hätte man also — nein: frau - aus der Verfilmung des Lebens der neuseeländischen Schriftstellerin Janet Frame für eine Tränenoper machen können: Acht Jahre lang hat diese — jetzt 67jährige — Frau als angeblich Schizophrene in einer psychiatrischen Anstalt vegetieren müssen, ist nur durch Zufall einer Gehirnoperation entgangen und gilt mit ihren preisgekrönten Romanen, Gedichten und Erzählungen in Neuseeland noch heute als zwar erfolgreiche, aber durch Schizophrenie sensibilisierte und geprägte Künstlerin, obwohl sich diese Diagnose schon vor Jahrzehnten als falsch erwiesen hat.
Doch Janet Campion, die — ebenfalls erfolgreiche — Regisseurin aus Neuseeland, hat Janet Frames dreibändige Autobiografie in eine filmische Sprache umgesetzt, die etwas sehr Seltenes, sehr Kostbares zuwege bringt: Ein Engel an meiner Tafel erzählt das schmerzhafte Leben dieser Frau mit einer so magischen Anmut, mit so verzaubernder Leichtigkeit, daß einen das Schwere, Traurige nur flüchtig zu streifen scheint und sich gerade deshalb in seiner Tragik einprägt.
In Szenen eines Lebens, in biografischen Puzzleteilchen entwickelt sich das rotwuschelhaarige, scheue, dicke Kind zum jungen Mädchen, zur Frau, die immer abseits steht, unsicher, ein wenig linkisch — ein Kind, das in Armut groß geworden ist und seinen inneren Reichtum im Schreiben ausdrückt, während es nach außen hin vergeblich ums Dazugehören kämpft, ums Tüchtigsein im Leben — bis dieser Kampf verloren ist, das Mädchen nicht mehr leben will und in eine Anstalt eingewiesen wird. Danach der Versuch, als Schriftstellerin zu leben, das sich Hineintasten in die Welt, bis Janet, die 30jährige, einen Ort für sich gefunden hat, an dem sie in Ruhe schreiben kann.
„Ich habe mir mein Leben als Roman erzählt“, hat Janet Frame über ihre Autobiografie gesagt, und Jane Campion setzt diese literarische Verdichtung mit unendlich poetischer, sinnlich-diskreter Zartheit in filmisches Erzählen um: Unter dem distanzierten Blick der Achtung vor dem „Roman“ des Lebens wird eine Nähe des Verstehens spürbar, die dem Leben der Janet Frame ein Geheimnis läßt. Sybille Simon-Zülch
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