: Die Auferstehung der Geschmähten
Mit dem 2:1-Sieg im Europacup der Pokalsieger über Barcelona feierte der englische Fußball im Gewand von Manchester United ein gelungenes und gleichsam friedliches Comeback ■ Von Christoph Biermann
Rotterdam (taz) — Als Bryan Robson endlich den Cup in den dramatisch wildzerklüfteten Himmel über Rotterdam hob und 15.000 Manchester United-Fans dem Kapitän ihrer Mannschaft zujubelten, war ein Stück Fußballgeschichte geschrieben. Das war mehr als einfach der Sieg im Europapokal der Pokalsieger. Nicht nur für Manchester United, deren immer etwas großspurige Ambitionen 23 Jahre nach dem Europapokalgewinn gegen Benfica Lissabon endlich wieder einmal befriedigt wurden, sondern auch für den englischen Fußball insgesamt.
Vor sechs Jahren, nach dem tödlichen Europacupfinale von Brüssel zwischen Juventus Turin und dem FC Liverpool, schien er fast vor dem Ende zu stehen. Die Erfinder des Spiels wurden aus Europa verbannt und schienen orientierungslos ihrem Untergang entgegenzugehen. Aber die fünfjährige Isolation tat dem englischen Fußball gut. Das Problem des Hooliganismus verschwand fast, die Zuschauerzahlen stiegen kontinuierlich, und daß auch die Qualität des Fußballs besser wurde, zeigte die englische Nationalmannschaft bei der WM. Aber wirklich wichtig ist in England nicht die Nationalmannschaft, sondern sind die Clubs. Deshalb ist dieser Sieg von Manchester United auch wichtiger als das Erreichen des Halbfinales in Italien durch das Nationalteam. Dieser Sieg ist ein Ausrufezeichen: Der englische Fußball ist endgültig und nachdrücklich wieder nach Europa zurückgekehrt. Und sofort flammte die Diskussion wieder auf, die es immer um den Stil des Fußballs von der Insel gegeben hatte. Johan Cruyff der beeindruckend weltläufige, gewandte und sympathische Trainer des FC Barcelona eröffnete sie gleich nach dem Schlußpfiff: „Manchester United hat zwar kein gutes, aber immerhin das eigene Spiel gespielt.“
Das war zwar nicht gerade die Haltung eines guten Verlierers, aber man konnte die Sticheleien von Cruyff verstehen, der sich schon als Spieler eher der Eleganz des Spiels verschrieben hatte. Und es war nicht unbedingt leichtfüßig, wie Manchester United in Rotterdam agierte, sondern da dominierten Qualitäten wie schwerblütige Zweikampfstärke, Einsatzbereitschaft und Wucht im Angriffsspiel. Entschieden wurde das Match durch den Zustand der Angriffsreihen, und da war Manchester United einfach stärker besetzt. Der neunzehnjährige Lee Sharpe auf dem linken Flügel, einer der neuen Stars des englischen Fußballs, düpierte seinen Gegenspieler Nando immer wieder und Mark Hughes, beim FC Barcelona und bei Bayern München gescheitert, zeigte, wie gut er ist, wenn man ihm Platz und Verantwortung gibt. Auf der anderen Seite war Ronald Koeman zwar der überragende Spieler in der defensiven Zone, aber Barcelonas Offensive war schwach. Der hüftsteife Salinas konnte sich gegen Gary Pallister nie durchsetzen, und der Wechsel von Goikoetchea auf die linke Angriffsseite und der spätere Rücktausch mit Beguiristáin wirkte konzept- und hilflos. Vielleicht war auch entscheidend, daß beim Favoriten Mittelfeldgestalter Amor und die bulgarische Sturmspitze Stoitschkow fehlten. Cruyff mußte jedenfalls zugeben, daß seine Mannschaft nie dazu gekommen war, ihr Spiel wie gewohnt aufzubauen. „Normalerweise versuchen wir, das Spiel zu kontrollieren und dann die Chancen zu nutzen, die sich irgendwann zwangsläufig bieten.“ Das gelang nicht, und Barcelona überzeugte erst in der letzten Viertelstunde, als es sich nach dem 0:2-Rückstand kopfüber in die Offensive stürzte. Aber auch da blieb es bezeichnend, daß es ein Freistoßtor war, mit dem Koeman den Anschlußtreffer erzielte.
Wie es dann so ist, rutschte Schiedsrichter Bo Karlsson hinterher in den Mittelpunkt der Kritik. Cruyff murrte, daß dieser beim 2:0 von Hughes weiterspielen ließ, obwohl sein Linienrichter abseits angezeigt hatte, während er beim Stand von 2:1 einen Abseitstreffer seiner Mannschaft nicht anerkannte. Alex Ferguson, der schottische Trainer von Manchester United, der 1983 mit Aberdeen bereits einen Europapokal gewonnen hatte, ließ sich auf diese Diskussion nicht ein. Rotbäckig und mit umflortem Blick stammelte er: „Nach den letzten zehn Minuten des Spiels brauchen sie mich gar nicht zu fragen, daran kann ich mich nicht erinnern.“
Nach dem Flair der großen weiten Welt, mit dem Cruyff aufgetreten war, wirkte Ferguson simpel und provinziell. Aber gerade da lag wohl das Geheimnis des Außenseitersieges versteckt, denn in dieser Engstirnigkeit verbargen sich die Passion und der unbedingte Wille zum Sieg, der bei Barcelona fehlte.
Auch die Fans von Manchester warfen schnell einen sehr insularen Blick auf den Sieg. „Are you watching, Merseyside“, riefen sie aus voller Kehle dem Erzrivalen aus Liverpool entgegen. Die Fußballwelt ist sowieso in England, und im nächsten Jahr würden sie auch wieder das beste Team in Manchester sein und den Ortsrivalen City überholen.
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