: Der mit dem Wolf rang
■ Ende einer Epoche: Der berühmteste, schönste und am heißesten verehrte Sumo-Kämpfer aller Zeiten, der schlanke Chiyonofuji, tritt wegen zuviel Verletzungen zurück und wechselt ins Trainerlager
Tokio (dpa) — Chiyonofuji hatte den Spitznamen „der Wolf“, weil er der wohl aggressivste Kämpfer in der japanischen Sumo-Welt war. Immer wieder aber wurde er auch als „geschmeidig wie eine Katze“ und „stark wie ein Bär“ beschrieben — ganz abgesehen davon, daß er in all seiner athletischen Kraft so gut aussah, daß Millionen mandeläugiger Mädchen von ihm träumten. In dieser Woche ist er, mit 35 Jahren ein Veteran des japanischen Nationalsports, zurückgetreten, als der vermutlich größte Kämpfer in der mehr als 2.000jährigen Geschichte dieses Sports.
„Leichtgewichte“ wie Chiyo, der bei 1,83 Meter Körpergröße zuletzt 127 Kilogramm auf die Waage brachte, spielen normalerweise im Sport der Kolosse nur eine Außenseiterrolle. Er aber hebelte auch Gegner wie den fünf Zentner schweren Hawaiianer Konishiki aus.
Der Preis für den atlethischen Kampfstil des Großmeisters waren außergewöhnlich viele Verletzungen — mehr als zehn Mal renkte er sich das linke Schultergelenk aus, und Muskelrisse zwangen ihn oft zum Aussetzen.
Auch beim jetzt laufenden 15tägigen Turnier in Tokio war er angetreten, obwohl seine Verletzungen wohl niemals mehr ganz ausheilen werden.
Zwei Niederlagen in den ersten drei Kämpfen waren die Folge, und das kann sich ein Vertreter der obersten Kampfklasse nicht leisten — Chiyo trat zurück. Er wurde, neben allen anderen Versorgungsleistungen, vom Sumo-Verband mit einer Sonderzahlung in Höhe von 1,25 Millionen Mark belohnt.
So viel Geld hatte vor ihm noch kein anderer Sumo-Star erhalten. Vorerst wird er Nachwuchskämpfer mit seinen Tricks und Trainingsmethoden vertraut machen, im nächsten Jahr aber dann den „Stall“, zu dem er bisher gehörte, übernehmen und damit einer der Großen in der Sumo-Welt bleiben.
Der als Mitsugu Akimoto geborene Sohn eines Fischers, der nach der Sumo-Tradition einen Kämpfernamen annahm und darunter berühmt wurde, nimmmt jetzt bereits im öffentlichten Bewußtsein Japans eine Position ein, die in Deutschland nicht einmal ein Franz Beckenbauer oder ein Boris Becker je erreichen könnte. Sumo hat enge Beziehungen zum Shinto-Glauben und ist, davon sind die Japaner fest überzeugt, so alt wie das Kaisertum, nach der Legende also mindestens 2.600 Jahre alt.
Der Blitzgott Take Mika Zuchi, der damals zur Erde niederstieg und mit der Feldgöttin das Nationalgericht Reis zeugte, war danach auch der erste Sumo-Kämpfer. Nicht einmal er (und keiner seiner Nachfolger) hat in 22 Jahren im Ring so viele Siege errungen wie Chiyonofuji — 1.052, davon 807 in der höchsten Klasse. Helmut Räther
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