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Der Don Camillo von Niederbayern

Im 1.700-Seelen-Dorf Hausen bei Regensburg muß jetzt der Dorfpfarrer mit dem einzigen grünen Bürgermeister Niederbayerns zusammenarbeiten/ Der Grüne ist noch dazu Sannyasin, und der Priester hat acht Kinder und eine Frau  ■ Von Claus Christian Malzahn

München (taz) — Georg Biberer kann es noch immer nicht fassen. Ein Vierteljahrhundert lang hat der niederbayerische Landwirt brav im Rat seiner Gemeinde mitgearbeitet und es zuletzt zum stellvertretenden Bürgermeister des 1.700-Seelen-Dorfes Hausen gebracht. Doch der Aufstieg zum ersten Bürgermeister des Dorfes bei Regensburg blieb dem 62jährigen versagt: Ausgerechnet ein Grüner wurde von den Bürgerinnen und Bürgern der Gemeinde im April in direkter Wahl zum obersten Repräsentanten bestimmt. Die Sensation war perfekt, mit dem 45jährigen Schreinermeister Franz Petschel der erste grüne Bürgermeister Bayerns gekürt. Das wiederum ging dem Hirten von Hausen, dem katholischen Pfarrer Rudolf Schubach, ganz gewaltig gegen den Strich.

Denn der grüne Bürgermeister ist ein Sannyasin, und der katholische Pfaffe hat acht Kinder und auch eine Frau. Der eine reiste vor Jahren nach Poona und Oregon und blickte Baghwan in die Augen, der andere, ehemals evangelisch, haderte mit der protestantischen Theologie. Der eine gab seinen Job als Computerspezialist auf, um auf dem Land einen kleinen Schreinerbetrieb zu eröffnen. Der andere konvertierte im Januar 1975 zum Katholizismus, ließ sich zum Priester weihen und zog mit Kind und Kegel von Braunschweig nach Hausen. Schreiner Petschels biographische „Schlüsselerlebnisse“ waren der Umweltklassiker Ein Planet wird geplündert von Herbert Gruhl sowie die weisen Worte des seligen Rolls-Royce- Sammlers Baghwan Shree Rajnesh, nach denen jeder so handeln solle, wie er fühlt, und nicht, wie er denkt. Der damals noch evangelische Pastor Schubach nahm Anstoß an der Einstellung seiner Kirche zum Papstamt. In Niederbayern lebten der Aussteiger und der Umsteiger so lange einträchtig nebeneinander, bis der Aussteiger wieder einstieg. Da stieg der Priester — der noch immer verheiratet ist — auf die Kanzel und zürnte mit seiner Gemeinde: „Handelt wie Männer, nicht wie Schafe!“ donnerte er. Schlimm genug, daß ein Grüner mit über 53 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister gewählt worden sei. Einer aus dieser „chaotischen Partei“, die für den „Massenmord an Ungeborenen“, eintrete, die keine klare Haltung zur Gewalt und zum „sexuellen Mißbrauch von Kindern“ habe. Nun gibt sich der Grüne auch noch als Sannyasin zu erkennen, und damit als „Mitglied einer jugendgefährdenden, menschenverderbenden Sekte“.

Der niederbayerische Don Camillo, der sich als Konvertit nicht an das Zölibat zu halten braucht, verfaßte einen geharnischten Gemeindebrief und forderte seine Schäfchen auf, die öffentliche Vereidigung des neuen Gemeindeoberhauptes zu boykottieren. Das Schreiben, das an 500 Haushalte verteilt wurde, brachte vor allem die CSU-Mitglieder des Gemeinderats in Gewissensnöte. „Wenn mia net higehn, nacha macha mia uns international lächerlich!“ befürchtete ein Gemeinderatsmitglied, das seinen Namen nicht gedruckt sehen will. Tatsächlich platzte der kleine Sitzungssaal aus allen Nähten, als Petschel am 10. Mai seinen Amtseid ablegte: Der Streit zwischen dem konvertierten Katholiken und dem rosafarbenen Grünen war längst zum bayerischen Medienereignis geworden. Der Wahlverlierer Georg Biberer nahm Petschel den Amtseid ab. „Wir müssen wohl oder übel zusammenarbeiten!“ erklärte er am Rande der Veranstaltung. Und Petschel, in lilafarbenes Hemd gewandet, gab sich staatsmännisch: „Ich will ein Bürgermeister für alle Bürger sein — auch für den Herrn Pfarrer. Ich reiche meine Hand zur Versöhnung.“ Noch hat der Kirchenmann sie nicht genommen. Schubach will zwar darauf achten, „daß es christlich zwischen mir und dem Bürgermeister zugeht“ und daß es „keine Häßlichkeiten gibt zwischen uns“. Auch in „neutralen“ Gemeindeangelegenheiten, beispielsweise bei Grundstücksverkäufen, sei er zur Zusammenarbeit bereit. Aber wenn's um „religiöse G'schichtn“ geht, geht's nimmer. Soll der Pfarrer denn mit einem Baghwan-Jünger über die Friedhofsgestaltung diskutieren oder womöglich gemeinsam das Denkmal des heiligen St. Georg einweihen, das auf dem Hausener Dorfplatz entstehen soll? Ja, er wolle sich nun einmal mit Petschel zum Kaffeetrinken verabreden. Falls eine peinliche Pause während des Gesprächs entsteht, könnten die beiden etwa über Tierhaltung reden: Petschel ist Besitzer eines Jagdhundes namens Raja (indisch: „König“), Schubach hält sich eine deutsche Schäferhündin. Dem Bürgermeister hängt die ganze Auseinandersetzung mittlerweile zum Hals raus. „Der Streit ist beigelegt!“ läßt er lapidar verkünden, doch nachdem Pfarrer Schubach vor kurzem Schützenhilfe vom Regensburger Generalvikar bekam (wegen „mutigen Auftretens“), fängt die Auseinandersetzung wahrscheinlich gerade erst an. Aber auch Petschel bekam von seinem Verein Unterstützung, die bayerischen Grünen schrieben Schubach einen Offenen Brief. „Wir sind sicher, wenn es um die Ablehnung jugendgefährdender und menschenverderbender Sekten geht, dann finden Sie unseren grünen Bürgermeister an Ihrer Seite!“ Daß der grüne Petschel einen rötlichen Stich hat (zu seiner ersten Kreistagssitzung vor vier Jahren erschien er in weinroter Kleidung), stört die Landespartei nicht: „Er ist ja kein missionierender Sannyasin!“ erklärt ein Pressesprecher, außerdem sei Religion „Privatsache“. Georg Biberer hockt indes auf seinem Bauernhof und denkt darüber nach, wie das alles passieren konnte. „Ja mei, des is scho ziemlich ungewöhnlich, dös der g'wonna hat!“ Woran das liegen könnte? „Jo mei, vielleicht an der Autobahn, an der Klärschlammdeponie, an der Mülldeponie, des san ja irgendwie Probleme!“ Heutzutage solle ja „alles irgendwie sauber sein“, da sei auch er durchaus dafür. Der Petschel, das sei ein „gewandter Redner“, und jünger sei der auch. Doch das Geheimnis von Petschels Erfolg ist in Wahrheit keines: Er hat, ganz Wahlkämpfer, fast alle Haushalte des Dorfes besucht und sich so bekannt gemacht. Biberer blieb dagegen auf seinem Hof und baute darauf, daß die CSU-Wähler schon bei der Stange bleiben würden. Und die Zusammensetzung des Gemeinderates — neun CSU, drei „Christliche Wähler“ — ließ einen solchen „Kulturschock“ (O-Ton Schubach) wirklich nicht vermuten.

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