Eine Menge Stöckelschuhe

■ Ein Gespräch mit der neuseeländischen Filmemacherin Jane Campion

taz: „Ein Engel an meiner Tafel“ wirkt konventioneller als Ihr erster Spielfilm „Sweetie“. Hat das damit zu tun, daß dieser Film ursprünglich fürs Fernsehen produziert wurde?

Jane Campion: Ich wollte nur ganz nah an Janet bleiben. Die Identifikation mit ihr führte uns durch den Film. Eine solch intime Beziehung läßt sich auch noch auf dem Bildschirm wahrnehmen. Es paßt ins Fernsehen, da braucht man immer dicke fette Gesichter. (lacht)

Waren Sie manchmal in Versuchung, von der stilistischen Sparsamkeit abzuweichen?

Ich mag Einfachheit. Größere Kompliziertheit hätte den Film nur aufgeblasen, aber sie bringt natürlich immer eine Bestätigung für das Ego. Deshalb mußte ich mich manchmal schon ein bißchen zurückhalten. Ich mußte auch den Kameramann enttäuschen, weil er sich gefreut hatte, etwas Neues, wie Sweetie, ausprobieren zu können.

Literaturverfilmungen laufen immer Gefahr, Simplifizierungen zu werden. Wie haben Sie dieses Problem vermieden?

Das war nicht zu vermeiden. Die Leute, die Janet Frames Romane kennen, finden die Story etwas zu süß und schlicht, weil sie sie an der komplexen Denkweise ihrer Romane messen. In der Biographie ist diese jedoch nicht enthalten. Janet hat beide Seiten, die eher akademische und die etwas naive.

In Ihren Kinogeschichten stehen Frauen im Mittelpunkt. Verstehen Sie sich als Frauenfilmerin?

Das Wort Frauenfilmerin enthält immer eine Kampfansage gegen die Regisseurin. Filme, die den Stempel Frauenfilm tragen, werden sofort marginalisiert. Es ist aber so, daß, wenn ein Film gelungen ist, man am Ergebnis kaum erkennen kann, ob er von einer Frau oder von einem Mann gemacht wurde. Es ist wie in der Literatur: Die Unterschiede zwischen der Sensibilität eines Henry James zum Beispiel und, sagen wir, Emily Bronte sind nur sehr schwer auszumachen. Ich selbst ziehe Geschichten über Frauen vor, da ich mich mit Frauen stärker identifizieren kann. Weil ich eine Frau bin, hätte ich gerne die Welt voller Geschichten über Frauen.

Sehen Sie in Ihrer weiblichen Sozialisation einen Vorteil für die Arbeit als Regisseurin?

Mein Vorteil gegenüber Männern war der, daß ich ohne die Erwartung einer Karriere aufgewachsen bin. Deshalb habe ich eine eher schrullige Beziehung zum Leben. Ich mußte nicht ernsthaft sein, und meine Filme brauchten keine Erfolge zu werden. Ich konnte daher größere Risiken eingehen. Die Jungs dagegen sind immer bemüht, etwas herzustellen, was funktioniert. Dabei entwickeln sie manchmal eine sehr zynische Perspektive. In der Filmschule war ich für alle diejenige, die eine Menge alberner, lustiger Filme gemacht hat. Jeder dachte: Arme Jane, sie wird immer arbeitslos sein. Ich glaubte das auch.

Fehlende Zielstrebigkeit gilt in unserer Gesellschaft oft als mangelnde Identität.

Bis 25 war ich ein komplett verlorener junger Mensch. Ich wußte weder, was ich aus dem Leben machen sollte, noch, wie ich Befriedigung daraus ziehen sollte. Nicht einmal Romanzen schienen mir gut genug. Alles hatte den Geruch von Enttäuschung. Ich konnte auch keinen vernünftigen Job finden. Ich hatte einen Abschluß in Anthropologie, aber ich wollte keine akademische Karriere machen.

Wodurch hat sich das verändert?

Ich bin auf eine Kunstschule gegangen, ohne zu wissen, was ich da wirklich wollte. Das war eine radikale Schule. Dort haben sie uns beigebracht, daß Kunst alles ist, was man visuell ausdrücken kann. Das brachte meine rückwärtsgewandte Vorstellung von Kunst völlig durcheinander. Daraufhin habe ich alles, was mich interessierte, zu Bildern gemacht: Sex, Romanzen, Liebe, alles. Mit meinem eigenen Leben zu arbeiten, machte mir plötzlich riesigen Spaß, es setzte eine enorme Energie in mir frei. Ich arbeitete 14 Stunden am Tag mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht.

Dann merkte ich, daß Malerei nicht meine Stärke war, am besten war ich bei Performances. Ich habe dann angefangen, verrückte, kleine, feministische Theaterstücke auf die Bühne zu stellen. Das war jedoch kein populärer Feminismus, sondern glamouröser Feminismus.

Was ist das?

Da spielen eine Menge Stöckelschuhe mit. Die populären Feministinnen waren wütend. Das Aufmotzen war eine der Hauptattraktionen für uns, und jedes Stück gab uns genug Vorwand für mindestens zwei Stunden Make-up und Ankleiden. Jemand hatte einige der Stücke auf Video aufgezeichnet, es aber so schlecht gemacht, daß ich beschloß, selber zu filmen. Ich habe mir ein Lehrbuch gekauft und angefangen. Tissue war mein erster Film, und er wurde ein beliebter Lacher an der Schule. Als man mir sagte, ich könne ruhig ein paar verschiedene Einstellungen und Perspektiven verwenden, wußte ich zuerst gar nicht, wovon sie sprachen. Ich hatte keine Ahnung, wie roh mein Film war. Ich mußte noch viele Hausaufgaben machen, bis ich die Sprache des Films anwenden konnte.

„Sweetie“ war ja sehr erfolgreich...

Für australische Verhältnisse in jedem Fall. Es war einer unserer ersten Low-Budget-Filme, die international bekannt wurden. Leider nicht in Deutschland, aber in England, Amerika und in Frankreich. Er war sogar in Australien erfolgreich.

Setzt der Erfolg Sie unter Druck?

Erfolg bedeutet auch Streß. Glücklicherweise habe ich meine Filmschulerfahrungen im Rücken, die Zeit, in der ich gemacht habe, was ich wollte, egal, was irgend jemand dachte. Dadurch bin ich vom Lob anderer nicht abhängig.

Wie kann man eigentlich einen persönlichen Film machen, wo doch soviele verschiedene Leute mitarbeiten?

Der Trick ist, daß du Leute mietest, die dir zuhören. Ich glaube, daß jeder, der sich auf einen Film einläßt, dazu bereit ist — zumindest in den ersten Wochen. Danach muß man manchmal ohne das Einverständnis der Crew weiterdrehen.

Wie setzen Sie Ihren Willen durch?

Ich habe einen ersten Assistenten, der das für mich macht. (lacht) Als ersten Assistenten suche ich mir jemanden mit starkem Durchsetzungsvermögen. Manchmal wollen die Mitarbeiter aber auch die Regisseurin springen sehen und merken, daß sie etwas tut. Ab und zu spiele ich auch ein bißchen: Ich schließe mich den Statisten an oder verkleide mich mit ihnen. Während der Szenen in der Irrenanstalt waren wir alle oft sehr albern, weil das die einzige Art war, mit der Düsterheit umzugehen. Die Crew war zeitweise nicht von den Patienten der Anstalt zu unterscheiden. Von diesen konnten wir etwas lernen: Ihre eigenen Gefühle waren ihnen jederzeit gegenwärtig. Einmal sagte einer in der Mitte einer Szene: Ich werde hierfür bezahlt! Interview: Gunter Göckenjan