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„Eingebrannt“: Christer Strömholms Fotografien vom ganzen Leben

Wer diese Bilder sehen will, muß sich Mühe geben. Er muß ins Moor gehen, den Neu-Bergedorfer Damm zwischen Worpswede und Grasberg suchen. Er muß sich in das Privathaus des Fotogaleristen Wolfgang Kleine trauen. Es muß zwischen 13 und 20 Uhr sein. Sicher ist, wer die Bilder des Stockholmer Fotokünstlers Christer Strömholm gefunden hat, ist belohnt. Mit Eindrücken, die er nicht vergißt. „Eingebrannt“ lautet der Titel der Ausstellung in der neuen Worpsweder „Lichtbild Galerie“. „Eingebrannt“, das verweist auch auf die schockierendsten Aufnahmen des großen Alten (Jg. '18): Anfang der 60er war Strömholm in Japan und begegnete Hiroshima-Opfern der zweiten Generation. Blinde Kinder, mit zerfressener Haut, deformierten Gesichtern. Im einzelnen brutal, durch die Hängung eingeordnet in Kinderleiden, Krankheit, Tod. Was sieht mich schlimmer an, das blinde lebende oder das still blickende tote Kind, zwischen Holzästen plaziert?

Die Ästhetisierung, mit der Strömholm seinen Motiven begegnet, ist zurückhaltend: harte Kontraste, kaum raffinierte Lichtregie. Womit Strömholm verblüfft (oder schockiert, ängstigt), ist der Ausschnitt. Etwa bei der Serie von Transvestitenaufnahmen, die zwischen '47 und '56 in Paris entstand (seine Fotos tragen weder Titel noch Datum): Da erscheint der Spiegel, der einen nackten Transvestiten zeigt, wie ein Schlüsselloch. Oder: an der Spitze einer langen aufrechten Stange hängt ein Kind (tot? Artist?). Oder: aus einem aufgerissenen „Stoffbauch“, mit grobem Faden flüchtig zugenäht, schaut eine Puppe heraus (primitives Medizinmodell? Voodoo-Zauber?). Die Präparation der Ausschnitte macht gesicherte Aussagen über Umfeld und Bedingungen der Aufnahme unmöglich. Das macht manchmal Angst.

Eine zweite Bedingung für Strömholms Arbeiten ist die persönliche Beziehung zum Motiv, in der Regel zum Menschen oder hoch symbolhaft aufgeladenen Objekten (Schlange, Puppe, Gitter). Mit den Pariser Tunten hat der Fotograf lange Tür an Tür gewohnt. Den Kinderbildern, die Strömholm von Auslandsaufenthalten mitbrachte, merkt man die Nähe unmittelbar an. Seine Gegenüber blicken fast immer in die Kamera. Mit großer Offenheit.

Und dabei ist Strömholm ein großer Bildregisseur. Die anhaltende Wirkung seiner Fotografien beruht nicht zuletzt auf einer durchdachten Inszenierung. Die beiden Mädchen Hand in Hand werden durch das geheimnisvolle Licht einer löchrigen Scheune zu gültigen Protagonisten der Pubertät. Ein im Nebel tastendes Kind kommentiert die Hiroshima-Blinden und zeigt, wie die Bilder im Schrecken weitersprechen.

Nur die Bilder sprechen. Strömholm spricht fast nie. Bei der Interpretation seiner Bilder hilft er nicht. Selten auch haben Bilder das so wenig nötig wie diese. Geburt, Kindheit, Sexualität, Tod: Das sind „Schlüsselbilder“ nicht nur für Strömholm.

Neben den „Schlüsselbildern“ bietet „Eingebrannt“ auch eine Werkübersicht: Von den ersten Arbeiten, die im Umkreis der „Fotoform“-Gruppe um Otto Steinert entstanden — kühle, präzise, „formale“ Bilder mit Häuserkanten und Meeresufern — über die „sprechenden“ Bilder der Kinder, Puppen, Transvestiten zu ganz neuen, wieder stark reduzierten Aufnahmen. Nur zu vermuten ist, daß dieser Mann durch seine Bilder auch von sich spricht. Seine Biografie ist, soweit bekannt, abenteuerlich. Als Partisan kämpfte er im Krieg in Skandinavien, studierte Malerei, Sprachen und Kunstgeschichte in Berlin, Dresden, Paris und Rom, lebte vom Schmuggel, als Goldgräber, als Fremdenführer in Spanien oder als Guerilla-Instruktor in Tunesien. Mit Peter Weiss verbinden ihn eine Freundschaft und ein gemeinsames Filmprojekt. 1962 gründete er in Stockholm an der Universität eine „Fotoskolan“ mit einem seht dezidierten Ausbildungsplan. Vorrangiges Ziel: die Verantwortlichkeit des Fotografen für jedes Bild, das er aus der Hand gibt. Was gleichbedeutend ist mit dem Anspruch nach Gültigkeit. Dem Versuch einer „ehrlichen Reportage“. Burkhard Straßmann

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