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ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Die Brothers Gibb und der Tiger

Spaßeshalber habe ich mir diesen Monat mal die neue Bee Gees schicken lassen. Befund: Die Brothers Gibb sind immer noch die gleichen alten Schleimer, die sie von Anfang an waren.

Der Bee-Gees-Sound beruht auf zwei Grundpfeilern: dem klinisch sauberen, melodiösen WASP-Popsong in der Nachfolge von Massachusetts und dem Disco-Stück à la Saturday Night Fever und Stayin' Alive. Der eine beerbt den Schlager, der andere die schwarze Musik. Beide können miteinander verschmelzen und so die Vorteile der verschiedenen Traditionen kombinieren: Groove auf der einen, Ohrwurmqualitäten auf der anderen Seite. Auf High Civilization verkörpert Secret Love mit seinem Uff-ta- uff-ta-Rhythmus die eine, Human Sacrifice die andere Richtung, der Rest tobt sich in der bastardisierten Form aus. Alles zusammen ist dann unverkennbar Bee Gees.

Entgegen landläufigen Vorstellungen ist der Bee-Gees-Sound nicht stumpf, sondern clever, Resutat einer musiklandschaftlichen Besiedelungsstrategie, die nicht nur mit allen Studiowassern gewaschen ist, sondern auch über ein Gefühl für das richtige Timing verfügt. Clever an den Bee Gees war, daß sie in den Siebzigern als eine der ersten die damals als minderwertig betrachtete schwarze Tanzmusik („Disco“) für den weißen Markt erschlossen. Clever sind sie heute, weil sie immer noch flexibel genug sind, neue Soundvarianten in sich aufzusaugen und das Feld, das Prince und andere gerodet haben, erfolgreich zu beackern. Das Cover von High Civilization mit seiner Mischung aus Techno- Ikonen und Traditionsplunder ist eine recht dreiste Kopie von Graffiti Bridge, der Titelsong selbst zitiert in versüßlichter Form die apokalyptische Gesellschaftskritik von Sign o'the Times: „Cryin' in the streets, they run for their lives, how can you lead them to heaven?“ Der Rest, wie gesagt, ist eben Bee Gees. Irgendwann werden sie eine Hiphop-Platte machen.

High Civilization ist Supermarkt-Pop für die Urenkel der Pilgrim Fathers, süß wie weiße Schokolade und jugendfrei wie Kaffee Hag. Sexy an dieser Mischung ist allenfalls die hysterische, vor Schmelz fast keckernde Stimme von Robin Gibb — der stimmgewordene Überbiß, ständig hin- und hergerissen zwischen Belcanto und Crooning. Offenbar reicht das, um die Menschen auch heute noch in die Konzertsäle zu treiben, wo sich Jung und Alt dann wie erlöst um den Hals fällt.

Ach, da würd' ich doch lieber in ein Konzert von Tom Jones gehen. Diese Stimme, diese Koteletten, dieser Blick! Dieser Gout von Goldkettchen! Dieses ins Grandseigneurale vergeistigte Stechertum, das man bei unseren heutigen Fußballern so schmerzlich vermißt! Daß das Absterbende die Gestalt der Komödie annimmt, wie Marx mutmaßte, ist ja nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit erstrahlt, was nicht mehr so ganz auf der Höhe der Zeit ist, in einer Aura reinster Poesie; zumindest wenn man Jones heißt und rockender Großvater ist. „I'm carrying a torch“, singt er, der „Tiger“, und recht hat er: Tom Jones — der späte Fackelträger einer prunkvollen, aber angeschlagenen Rockschmonzetten- Kultur.

Nichts, kein Charts-Erfolg, keine Fernsehshow mit Frank Elstner, nicht die kurzfristige Aufregung um seine Coverversion des Prince- Hits Kiss und auch nicht die Tatsache, daß Las Vegas ihm alljährlich zu Füßen liegt, hat diesen Mann von seinem Kurs abbringen können. Er entdeckt nicht plötzlich sein Herz für die Robben, er meint nicht, den Regenwald mit Popsongs retten zu müssen, er kommt auch nicht auf die Idee, eigene Stücke zu schreiben, um sich von seinem bloßen Interpretendasein zu „emanzipieren“; nein, er singt einfach nur, so schön er kann. Entertainment alter Schule, pur.

And that boy can sing! Mit viel Soul in der Stimme steigt er in den Titelsong ein, einen Gospelsong-Verschnitt im Klassikerformat von Let it be. Dann geht es Schlag auf Schlag. Piece of Mind, noch ein Soulstück, diesmal schmissiger und kehliger angegangen; Strange Boat, eine ruhige Nummer von den Waterboys; Do I Ever Cross Your Mind, schmelzend as can be, mit gedämpftem Schlagzueug und zarten Pianotupfern. Zwischendurch aber auch immer mal wieder ein paar Einheizernummern mit bekennerischen Titeln wie I'm a Fool for Rock'n'Roll oder Killer on the Sheets, schwer Bezirzendes zum Hüftschwingen gewissermaßen. Yeah, kann man da nur sagen. Selbst ein Heuler wie I Culdn't Say Goodbye von Warren/Hammond wird durch Jones' Organ geadelt und wirkt wie eigens für ihn komponiert.

Seit Elvis nicht mehr unter uns weilt, mit dem der sympathische Rüschenhemdträger befreundet war, gibt's nicht mehr allzu viele von der Sorte. Charlie Rich, Tony Christie, Detektiv Rockford — eher Amerikaner als Engländer. Schön, daß sich da mit Van Morrison wenigstens ein Exemplar einer verwandten Spezies hinzugesellt hat. Carryin' a Torch ist von Morrison produziert, der auch vier Stücke beigetragen hat (u.a. den Titelsong). Allein schon wie der halslose Meister neben dem Tiger vom Innencoverfoto herablacht, ist sein Geld wert. Das schönste Paar seit Laurel/Hardy.

—Bee Gees, „High Civilization“ (WEA)

—Tom Jones, „Carryin' a Torch“ (Chrysalis)

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