Helmut Kohl sui generis

■ Kreta und die Gebeine „opfermütiger Menschen“

„Dieser Ort“, so sprach Helmut Kohl gestern auf Kreta, „ist für uns Deutsche auch ein Mahnmal für den brutalen und zynischen Umgang der Nationalsozialisten mit der Tapferkeit und dem Opfermut zahlloser junger Menschen.“ Wieder einmal machte unser Bundeskanzler in Vergangenheit, erinnerte vor den Gräbern deutscher Fallschirmjäger an den 50.Jahrestag der blutigen Eroberung der Insel. Wieder hat Kohl es geschafft — und die Gebeine der deutschen Angreifer mit denen der Angegriffenen vermischt. Opfer, so weit das Auge reicht. Ein paar Bösewichter in Berlin. Vor Ort, in diesem Fall auf Kreta, gab es im Juni 1941 nur zahllose tapfere, opfermütige junge Menschen, die sich nur deshalb — Kohl würde sagen: gegenseitig — massakrierten, weil irgendwelche „Nationalsozialisten“ eben nicht nur das, sondern auch noch Zyniker waren. Hitler kam erschwerend hinzu. Dies alles vorausgesetzt, „werden wir Deutschen uns an das Unrecht stets erinnern“. Bitburg und Bergen-Belsen, Heimatvertriebene und „deutsches Unrecht in Polen“, kein Denkmal für die Opfer deutschen Gewaltherrschaft, sondern eines für die Opfer der Gewalt überhaupt: Kohl, wie er fühlt und denkt.

Helmut Kohl ist nicht einfach entgleist. Seit der deutschen Wiedervereinigung gehört jenes Deutschland zwischen 1933 und 1945 nicht mehr zur sogenannten jüngsten Vergangenheit, sondern endgültig zur Geschichte. Gleichzeitig wird die fragliche Zeit begrifflich ausgegliedert, sie ist nicht deutsche Geschichte und Geschichte des deutschen Staates, sondern einfach „Nationalsozialismus“. Vielleicht sollte man auf den Begriff „Nationalsozialismus“ weitgehend verzichten. Statt dessen sollte vom deutschen Angriff, von deutschen Verbrechen gesprochen werden. Die deutschen Soldaten auf Kreta waren eben nicht alle Nazis oder Faschisten, dennoch waren sie fast alle mit vollem Herzen dabei, sie fühlten sich als bessere, als überlegene Menschen und dachten keine Sekunde über das prinzipielle Unrecht ihres Tuns nach. Sie glaubten jedenfalls 1941 aus vollem Herzen an den deutschen Sieg. Sie waren weder „tapfer" noch „opfermütig“, sie waren dünkelhaft, räuberisch und feige. Mit einem Wort: ganz normale Deutsche. Götz Aly