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Paris: Leere Bänke und ein toter Schüler

Im französischen Mantes-la-Jolie starb Aissa Ihich in Polizeigewahrsam/ Festgenommen nach Ghettounruhen  ■ Von Alexander Smoltczyk

Paris (taz) — Der Präsident war im Elysée gerade damit beschäftigt, verdienten Müttern die Gebärmedaille zu verleihen, da starb am Montagnachmittag Aissa Ihich. Der 19jährige Schüler aus Mantes-la-Jolie befand sich im Gewahrsam der Polizei. „Herzversagen“, diagnostizierten die Ärzte, „fahrlässige Tötung“, vermuten die Jugendlichen aus dem Sozialghetto Val-Fourrée, wo es am Wochenende zu Straßenkämpfen und Plünderungen gekommen war.

Ihich war Samstag nacht zusammen mit fünf anderen „Beurs“ festgenommen worden. Obwohl er stark asthma- und zuckerkrank war, erklärte ihn der Amtsarzt für haftfähig. Die Polizeiaufsicht überprüft zur Zeit Aussagen, wonach die Mutter des Schülers abgewiesen worden sei, als sie ihrem Sohn Medikamente bringen wollte. Der Untersuchungsrichter hat eine Autopsie angeordnet: „Beim ersten Augenschein hat Aissa keine Gewalt erlitten, aber Vorsicht ist geraten.“ Innenminister Marchand versprach, die Praxis des Polizeigewahrsams zu überprüfen. Nach der Bekanntgabe des Todes von Ihich fuhren CRS-Einheiten in Val-Fourrée auf. Fernsehteams wurden von Jugendlichen angegriffen und verprügelt, auch Vertreter von „SOS- Racisme“ wurden aus der Siedlung vertrieben.

Die Siedlung Val-Fourrée, gebaut in den sechziger Jahren für die Renault-Arbeiter in Flins, ist eines der dichtbesiedelsten Ghettos in Frankreich. 28.000 Menschen in gut 8.000 Wohnungen, knapp die Hälfte davon Jugendliche, knapp die Hälfte von ihnen wiederum ohne Arbeit. Die französischen Arbeiter haben Val-Fourrée längst verlassen und wohnen in den Pavillons der Oberstadt. Paradoxerweise gilt Mantes-la-Jolie als Beispiel erfolgreicher Ghetto-Politik (eurotaz, 26.7.1990). Der sozialistische Bürgermeister Paul Picard organisierte den Busverkehr neu, veranstaltete Mieterräte und Selbsthilfeaktionen, um Fassaden und Eingänge zu schmücken. 30 Millionen Francs wurden in den letzten beiden Jahren in Baumaßnahmen investiert. Mantes ist eine der wenigen Städte in Frankreich, wo eine neue Moschee gebaut werden konnte.

Doch die immer häufigeren Auseinandersetzungen in Val-Fourrée zwischen Ghetto-Kids und Polizei sind die Folge einer Malaise, die sich durch Sozialtherapie allein offensichtlich nicht beheben läßt. Am Wochenende waren auch das Rathaus und die Gemeindesporthalle angegriffen worden: „Früher ging man Samstagabend auf den Ball, um sich auszutoben. Heute macht man Randale“, meinte Picard im Fernsehen. Und: „Wie sollen die Jugendlichen wissen, was ein Abgeordneter für sie macht?“ Picard sitzt auch im Kabinett des neuen Städte-Ministers Delebarre. Die Jugendlichen organisierten gestern einen Schweigemarsch und versammelten sich anschließend vor dem Gymnasium Saint Exupery, das von Aissa Ihich besucht worden war. Sie führten zwei Transparente mit den Aufschriften „Aissa Ihich war leider nur ein Maghrebiner“ und „Kommissariat Mantes-La-Jolie — Gestapo“. Während sie schweigend demonstrierten, wurde vor den leeren Bänken der Nationalversammlung das neue „Anti- Ghetto-Gesetz“ beraten, mit dem Ex-Premier Michel Rocard die Banlieues befrieden wollte. In Zukunft sollen alle Gemeinden im Großraum Paris gezwungen werden, Sozialsiedlungen zu bauen — auch die reichen im Westen der Stadt. Damit sollen Konzentrationen wie in Val-Fourrée vermieden werden. Die Armut wird gleichmäßig übers Land gestreut — französischer Sozialismus im Jahre zehn Francois Mitterrands.

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