: Rütteln am SPD-Ausstiegsbeschluß
■ Wulf-Mathies stimmt in „Konsens-Chor“ zur Atomenergie ein/ Töpfer: Keine neuen AKWs bis 2000
Berlin (taz) — Pünktlich zum Parteitag der Sozialdemokraten in Bremen rütteln die Gewerkschaften heftig an den ungeliebten Nürnberger Beschlüssen zum Ausstieg aus der Atomenergie. Nach dem IGBE-Vorsitzenden Hans Berger verlangte zum Wochenbeginn auch die ÖTV- Vorsitzende Monika Wulf-Mathies den Abschied vom „sinnlosen Streit um den Ausstieg“. Die vom Nürnberger Parteitag 1986 beschlossene Zehn-Jahres-Frist sei bereits damals unrealistisch gewesen „und ist es jetzt vollends“, sagte Wulf-Mathies. Deshalb müsse sich die SPD insbesondere von diesem „Datumsfetischismus“ verabschieden.
Auf dem Bremer Parteitag müsse die SPD ein Programm erarbeiten, „das Raum läßt für einen möglichst breiten energiepolitischen Konsens zwischen Parteien, Bundesregierung, Elektrizitätsversorgungsunternehmen und Gewerkschaften“. Den Ausstiegsstreit machte Wulf- Mathies verantwortlich für einen jahrelangen Stillstand in der Energiepolitik. Insbesondere sei es Aufgabe der SPD, auf einen parteiübergreifenden Konsens in der Entsorgungsfrage hinzuarbeiten. Mit ihrer Position folgt die ÖTV-Vorsitzende der Strategie der Atomwirtschaft, die den Gewerkschaften beim „Ausstieg aus dem Ausstieg“ eine Schlüsselrolle zuschieben will — und dabei seit Monaten auf das „Beispiel Schweden“ verweist. Dort haben sich drei große Parteien vor einigen Monaten von früheren Ausstiegsabsichten verabschiedet.
Den „Datumsfetischismus“ hat die SPD allerdings längst hinter sich gelassen. Schon früher war stillschweigend davon ausgegangen worden, daß die Zehn-Jahres-Frist erst nach einer sozialdemokratischen Regierungsübernahme in Bonn anlaufe. Im Bremer Leitantrag des Parteivorstands taucht die Frist explizit gar nicht mehr auf. Die vom umweltpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Harald Schäfer, inspirierte Passage zum Thema Atomenergie bestätigt jedoch grundsätzlich die geltende Beschlußlage. Wörtlich heißt es dort: „Entsprechend unseren Nürnberger Parteitagsbeschlüssen halten wir an dem Ziel des Ausstiegs aus der Atomkraft fest und lehnen deshalb auch jeden Einsatz (vermutlich ein verbalradikaler Schreibfehler, gemeint ist Ersatz, Red.) bzw. Neubau von Atomkraftwerken ab.“
Anders als die ÖTV-Vorsitzende hat sich Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) offenbar mit einer Fortdauer des AKW-Parteienstreits abgefunden. „Selbst bei größter Phantasie“ könne er sich in dieser Frage keine Einigung vorstellen, meinte Töpfer. Weil die Stromkonzerne Veba und RWE ohne Zustimmung der SPD keine Atomkraftwerke mehr zubauen wollen, rechnet Töpfer nicht damit, daß noch in diesem Jahrtausend in der Bundesrepublik ein neues AKW in Betrieb geht. Dafür gebe es auch keinen Bedarf. Nach dem Jahr 2000 hält Töpfer den Zubau neuer Meiler mit verbesserter Technologie für möglich.
Der Bund Bürgerinitiativen Umweltschutz wandte sich gestern in scharfer Form gegen den Vorstoß der ÖTV-Chefin, die „der Atomlobby auf den Leim“ gegangen sei. Der BUND-Vorsitzende Hubert Weinzierl forderte die SPD-Spitze ebenfalls auf, dem Verlangen der Atomwirtschaft nach einem „Energiekonsens“ nicht nachzugeben. Nicht die AKW-Debatte habe den energiepolitischen Fortschritt behindert, sondern der Aufbau „gigantischer Kraftwerksüberkapazitäten“ in den achtziger Jahren. Gerd Rosenkranz
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