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Großer Krieg um kleine Gärten

Unsicherheit bei Gartenfreunden/ Wo in Halle die Kleingärten Am Auenweg und Sperlingsweg entstehen sollten, werden die schon abgesteckten Parzellen demnächst wieder einplaniert  ■ Aus Halle Steve Körner

Sie waren stets fest eingeplant, die Mitglieder des VKSK der DDR. Kein Parteitag der Einheitssozialisten ohne kämpferisches Grußwort an die Schrebergärtner überall in der DDR, keine Klassenschlacht ohne stärkendes Obst und Gemüse aus dem „individuellen Anbau“. Und die anderthalb Millionen Mitglieder des „Verbandes der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter“ hielten regelmäßig Wort. Versorgungslücken bei Erdbeeren, Tomaten oder grünen Gurke wurden gleich vor Ort mit groben Stichen vernäht. Wenigstens theoretisch. Irre hohe Aufkaufpreise, weit über den späteren Verkaufspreisen liegend, sorgten vor allem dafür, daß alljährlich Tausende damit Geld verdienten, Erdbeeren im Laden zu kaufen, um sie gleich im nächstgelegenen fürs doppelte Geld wieder loszuschlagen.

Doch das waren die schwarzen Schafe. Die Mehrheit der Verbandsmitglieder schreberte natürlich ehrlich vor sich hin. Radieschen und Stachelbeeren für den eigenen Bedarf sprangen allemal raus, und eventuelle Überschüsse konnte man dann ja immer noch im Konsum oder der HO versilbern.

Viel wichtiger war die soziale Funktion, die der Kleingarten in der DDR einnahm. Reisen war kaum möglich, also flüchtete man in die Laube. Anständige Autos gab es nicht, also wurde das Fertigteilhaus aus Asbestpappe zum Statussymbol.

Einen Garten zu haben, so klein und abgelegen er auch sein mochte, gehörte für den gelernten DDRler jahrzehntelang zum guten Ton. Und alle machten mit. Die Folge: Obwohl überall vor den Toren der Städte neue Gartensiedlungen erschlossen wurden, konnte der Bedarf nie befriedigt werden. Die einschlägigen Wartelisten waren mancherorts wartburglang — da half es auch nichts, daß man in den Finaljahren des Arbeiter- und Bauernstaates begann, auch noch zwischen die enggebauten Betonviertel „Bewohnergärten“ zu plazieren.

Die einstigen Idyllen aber, mit Namen wie „Frohe Zukunft“ oder „Lichter Morgen“ getarnt, haben mit der neuen Zeit so ihre Schwierigkeiten. Kein Mensch mag mehr die Produkte der früher so straff auf Höchsterträge getrimmten Handtuchfelder kaufen. Erdbeeren aus Spanien sind roter und billiger und besser. Tomaten und Gurken aus Portugal sind früher zu haben. Den Hobbygärtnern, die, da auf Kurzarbeit gesetzt, erstmals nicht krankfeiern müssen, um Frühjahrsputz im Gärtchen zu machen, werden indessen die Daumenschrauben angezogen.

Statt der früher mehr oder weniger symbolischen Pacht von einigen Mark im Jahr sind heute zum Teil Summen von vierzig, fünfzig Mark im Monat fällig. Die Kommunen, mit gebundenen Händen in fast jeder Beziehung, dürfen wenigstens bei Gewerberaummieten und der Pacht für Gewerbeflächen kräftig zulangen. Und Kleingärten, früher die Reserve der sozialistischen Landwirtschaft, gelten noch heute als Gewerbeflächen, auch wenn längst kein Blumentopf mehr mit ihnen zu gewinnen ist.

Nicht genug damit: Auch die Ver- und Entsorgungsunternehmen langen nirgendwo so kräftig zu wie bei den Spartenfreunden zwischen Rostock und Suhl, die sich so nicht von ungefähr für die Verlierer der Einheit halten. Da sind fürs Gärtchen plötzlich eine zweite Elektro-Anschlußgebühr, ein zweites Wassergeld und eine zweite Gebühr für die Teilnahme an der Müllversorgung fällig. In voller Höhe.

Die Spartenvorstände protestierten ausdauernd und vergeblich. Und immer mehr Kleingärtner schmeißen das Handtuch auf die ebensogroßen Felder, weil sie die höheren Abgaben nicht mehr zahlen wollen oder können.

Ja, und dann ist da noch die Frage der Rückgabeansprüche, die etliche in den vergangenen vierzig Jahren gegründete Gartensparten heute in ihrer Existenz bedrohen. Die Merseburger Sparte „Ludwigsland“ beispielsweise, deren zurückgekehrter Alt-Eigentümer mit den kleinen Gärten große Pläne hat. Wohnungen will er bauen und Garagen — Ludwigsland liegt an der strategisch bedeutenden Ausfallstraße nach Leipzig, und Herr Ludwig hört die Kasse klingeln. Die Spartenfreunde, die sich aus lauter leiser Verzweiflung mal schnell noch als eingetragener Verein haben registrieren lassen, hoffen hauptsächlich. Was sollen sie auch sonst tun.

Andere, in Halle beispielsweise, haben schon aufgegeben. Wo die Kleingartenstädte „Am Auenweg“ und „Sperlingsweg“ entstehen sollten, entschied das Bezirksgericht Halle dieser Tage, werden die schon abgesteckten Parzellen demnächst wieder planiert. Die Freizeitgärtner haben zwar seinerzeit ordnungsgemäß bezahlt für ihr künftiges Gartenland, nur leider an den falschen Besitzer. Die (Angersdorfer) LPG, die das Land einst verkaufte, ist pleite und abgewickelt, von der gibt's garantiert kein Geld mehr zurück. Die rechtmäßigen Bodenbesitzer fordern auch noch, bereits gezogene Gräben und Zäune und verlegte Rohrleitungen wieder zu beseitigen...

Im Landesvorstand der Kleingärtner Sachsen-Anhalt jedoch wälzt man derweil andere Probleme. Vereinigung mit dem bundesdeutschen Verband der Gartenfreunde oder doch lieber eigenständig weitermachen und die speziellen Interessen der Ost-Gärtner vielleicht besser vertreten, das ist die Frage, um die man sich die Köpfe wieder und wieder heißredet. Ein gewisser Herr Hermann, Obergärtner des Landes, ist für die Vereinigung, sofort und bedingungslos. Und folglich hatte er sie auch mal fast vollstreckt: Ohne Auftrag der Mitgliedschaft reiste der weise Vorsitzende nach Bonn, um die Auflösung des Kleingärtnervereins Sachsen-Anhalts mit einem sofortigen Anschluß an den BGF zu verbinden.

Dann aber formierte sich der Widerstand. Hermann verlor einige wichtige Abstimmungen, drohte mit Rücktritt, blieb dann doch. Beide Gärtnerlager stehen sich seitdem so ziemlich unversöhnlich gegenüber. Jedes hält sich für den besseren Vertreter der von Unsicherheit und Unruhe gebeutelten Mitgliedschaft, die zunehmend schrumpft. Zum 31.Juni müßte die Auslösung des Verbandes allerdings spätestens beschlossen werden, wenn der Termin für die Vereinigung der deutschen Kleingärtner unter einem großdeutschen Dach eingehalten werden soll.

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