Lobby im Schatten

■ In Sachen Gen-Technologie ist Brian Ager die graue Eminenz der Brüsseler EG/ 3.000 Lobbyisten bearbeiten 536 Europarlamentarier/ VON MICHAEL BULLARD

Die Hauptstadt Europas liegt ihm zu Füßen — zumindest aus der Perspektive seines Schreibtischsessels. Ob dies auch für die von Brüssel aus herrschenden EG-Kommissare gilt? Als Gentleman britischer Schule weiß er geschickt zu kontern: Ausgerechnet deren Zentrale, das gigantische, schwarzverglaste Berlayemont-Gebäude, sei vom zehnten Stock seines Bürohochhauses nicht zu sehen. Dies ist aber auch nicht nötig. Denn wenn es um das Thema Gentechnologie geht, hat Brian Ager andere Mittel und Wege, den Eurokraten die Vorstellungen seiner Auftraggeber nahezubringen. Grauen Eminenzen gleich treffen sich diese in regelmäßigen Abständen, um die „anstehenden Themen zu besprechen und eine gemeinsame Position zu formulieren“. Seine Aufgabe sei es, diese „Vorstellungen zu übermitteln“. Daß es sich dabei keinesfalls um Lobbyismus handelt, diese dubiose, aus den USA eingeführte Politikform, darüber läßt er keine Zweifel aufkommen: „Nein, das ist überhaupt nicht meine Art, in den Gängen des Parlaments herumzuhängen und Hände zu schütteln.“

Als Direktor einer der erfolgreichsten Lobby-Organisationen in Brüssel hat er dies wohl auch nicht nötig. Wie weit sein Einfluß hinter den EG-Kulissen reicht, zeigte sich Mitte April, als die Kommissare unter Leitung ihres für den Binnenmarkt zuständigen Kollegen Bangemann ein Grundsatzdokument zur „Föderung der Wettbewerbsfähigkeit der Biotechnologie-Industrie“ beschlossen: im wesentlichen der Forderungskatalog von — SAGB. Hinter dem Kürzel verbirgt sich die im Juli 1989 gegründete Senior Advisory Group Biotechnology. Die Dienste dieser „Beratungsgruppe“ nehmen die sieben bekannten Chemiemultis Monsanto, Hoechst, Sandoz, Unilever, ICI, Farmitalia und Rhone-Poulenc Sant in Anspruch, die im Europäischen Rat der Chemischen Industrie (CEFIC) zusammengeschlossen sind.

Unterstützt wird die SAGB-Consulting von der vor vier Jahren gegründeten Lobbyorganisation der Saatgutindustrie (GIBP) und von einem Ende Februar 1990 in Paris eingerichteten Europäischen Zentrum zur Normierung industrieller Produkte (CEN). Dort sollen die Industrievertreter nach dem Willen Bangemanns ihre „eigenen“ Normen entwickeln können, um so die EG- Behörde von der Beschäftigung mit „zeitaufwendigem Kleinkram“ zu befreien. Chef der Abteilung Gentechnologie ist — ebenfalls Brian Ager. Bis zum 1. Februar 1990 arbeitete er im Auftrag der Forschungs- und Technikabteilung der EG-Kommission und der in Paris ansässigen OECD-Zentrale der 24 wichtigsten Industrieländer an Vorschriften zur Regulierung gentechnologischer Verfahren. Seine dort gemachten Erfahrungen kommen ihm nach dem Seitenwechsel zugute.

Versimpelungen zerstreuen Besorgnisse

Bereits einen Monat nach Amtsantritt lieferte er sein Direktorenstück: Als die EG-Wirtschaftsminister im März vergangenen Jahres Förderungsmöglichkeiten für die Biotechnologie diskutierten, war Grundlage ein „Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen“, das bis auf die Fußnoten mit Berichten übereinstimmte, die von den SAGB-Beratern und der OECD erstellt worden waren. Darin wurden die Minister darauf hingewiesen, daß „die Gemeinschaft alles in ihrer Macht stehende tun muß, um die Öffentlichkeit über die Vorzüge, Probleme und die Auswirkungen der Biotechnologie zu unterrichten“. Schließlich „geht es um hohe Einsätze“. Deswegen „wäre es von besonderem Nutzen für die Kommission“, beriet sich die Kommission — sehr zur Überraschung der Journalisten, an die das Dokument später verteilt wurde — selbst, „wenn folgende Frage erörtert werden könnte: Ist die Besorgnis der Öffentlichkeit gerechtfertigt?“

Derartig suggestive Fragestellungen kommen in den neueren Werken Brian Agers nicht mehr vor. Inzwischen weiß er, worauf es ankommt: „Es ist sehr wichtig, die Botschaft klar zu formulieren. Es ist nicht gut, ein komplexes Papier vorzulegen, das alle Details beinhaltet.“ Ein Beispiel? „Die Wettbewerbsfähigkeit in der Biotechnologie wird für Europa ein kritischer Faktor zum wirtschaftlichen Erfolg in vielen Industriebereichen sein. Die USA und Japan verfügen über eine effektive und die Biotechnologie stärkende Politik. Sie haben demzufolge einen deutlichen Vorsprung vor Europa. Der Abstand wird immer größer. Gleichzeitig ist ein Abwandern von europäischen Fähigkeiten und Investitionen in politisch günstigere Umfelder festzustellen.

So einfach und drohend ist die Botschaft formuliert, daß Binnenmarktstratege Bangemann sie postwendend zur Maxime seiner neuen Gentechnologie-Politik erhob. Anders als noch vor einem Jahr machten sich seine Mitarbeiter dieses Mal immerhin die Mühe, den Text umzuschreiben. Dabei gelänge es ihnen jedoch immer wieder, mokiert sich Ager, Unklarheiten einzubauen. Begriffe wie „normalerweise“ stören ihn besonders, denn: „Was ist normalerweise?“ Insgesamt ist er aber mit seinen Zöglingen zufrieden: „Sie haben angefangen, klarer zu sehen, was sie mit diesen Dingen machen sollen.“ Damit sie auch in Zukunft das Ziel nicht aus den Augen verlieren, empfiehlt der Chef-Lobbyist, sich an die Vorgaben der US-Regierung zu halten — „weil die wesentlich professioneller Politik machen“.

Zur Bestätigung präsentiert Ager ein Memorandum des dem US-Präsidenten unterstellten „Rates für Wettbewerb“, dem — ja er weiß, aber was kann man machen, deutet sein säuerliches Lachen an — der Vizepräsident Dan Quayle vorsitzt. Zentrale These des zu Jahresbeginn vorgestellten Berichts: „Die Arbeitsgruppe Biotechnologie der US-Regierung sollte Vorschläge erwägen, um Belastungen durch Kontrollvorschriften zu beseitigen und Zulassungsverfahren zu vereinfachen.“ Die Antwort auf die Frage, wie dies geschehen soll, wird gleich mitgeliefert: „Die Überwachung durch US- Behörden sollte sich auf die Charaktereigenschaften und Risiken biologischer Produkte, nicht aber auf deren Produktionsprozeß beziehen.“ Diesen Grundsatz versuchte Brian Ager seinen Zöglingen bei der EG- Kommission in den vergangenen Monaten beizubringen — mit Erfolg, wie der Lobbyist unter Verweis auf das Grundsatzdokument zur Gentechnologie betont. Warum der Leitsatz so wichtig ist? Der „Konsistenz“ wegen, behauptet er. Kritiker im Europaparlament und in der EG-Kommission halten die Einführung dieses Konzepts allerdings für einen geschickten Schachzug, um drei vor Jahresfrist verabschiedete Kontrollgesetze für genmanipulierte Organismen auszuhebeln.

Über EG-Richtlinien zu laxen Vorschriften

Besonders die EG-Richtlinien für die Freisetzung von und den Umgang mit gentechnisch manipulierten Lebewesen in der Umwelt und in geschlossenen Labors sind der Industrie ein Dorn im Auge. Sie müssen noch von den zwölf Mitgliedsstaaten bis spätestens 23. Oktober in nationales Gesetz umgesetzt werden. Nach dem von der EG-Kommission verabschiedeten Konzept werden die Gen-Gesetze zwar bestehen bleiben, ihre Vorschriften sollen jedoch umgangen werden können. Ager und Bangemann setzen stattdessen auf Richtlinien, die nicht den Forschungs- und Herstellungsprozeß, sondern das Endprodukt — Pestizide oder Medikamente — im Auge haben. Die Kriterien dieser produktorientierten Richtlinien sind allerdings nicht auf gentechnische Verfahren zugeschnitten, ersparen der Industrie also aufwendigere und teurere Tests und Kontrollen.

Daß es sich dabei nicht um Lapalien handelt, erwähnt Brian Ager en passant. Von heute 10 Milliarden DM könnte sich seiner Meinung nach der Verkaufswert biotechnologischer Produkte weltweit auf über 160 Milliarden im Jahre 2000 steigern. Wie groß der Anteil Europas an diesem gigantischen Geschäft ausfällt, so der Lobbyist implizit, hänge von dem Verhalten der Kommissare ab. Denn für mindestens acht Produkte werden in der EG-Behörde zur Zeit spezifische Richtlinien vorbereitet. Ob Pharmazeutika, Lebensmittel, Pestizide — bei immer mehr Produkten werden gentechnische Verfahren angewandt. Dazu müssen die Vorschriften ergänzt werden.

Das Muster dafür stammt — von Ager vermittelt — aus den USA. Dort dient das Schreckgespenst Japan als Druckmittel zur Entschärfung bestehender Gentechnologie- Gesetze. Diesseits des Atlantiks wird hingegen mit der Abwanderung europäischer Firmen in die USA gedroht. Dies steht allerdings in krassem Gegensatz zu der vom Oberlobbyisten höchstpersönlich herausgestellten Tendenz, daß immer mehr US-amerikanische Gentechnologie- Firmen in Europa investieren. An vorderster Front steht dabei der weltweit operierende US-Chemiegigant Monsanto, der sich zur Beeinflussung der EG-Kommission nicht nur der Dienste Brian Agers bedient.

Der US-Landwirtschaftsminister ist davon überzeugt, daß die Superdroge rBST, die Kühe zu mehr Milchproduktion anregt, den europäischen Bauern nicht vorenthalten werden dürfe. Weil in EG-Europa jedoch bereits gigantische Milchseen das Gemeinschaftsbudget belasten, haben seine zwölf EG-Kollegen vorerst ein Moratorium gegen den Verkauf von rBST verfügt. Das Europäische Parlament — und anfänglich auch die Abteilung Landwirtschaft in der EG-Kommission — wollten zudem ein viertes Zulassungskriterium einführen. Neben der Sicherheit, der Qualität und Effizienz des Wachstumshormons sollen die sozio-ökonomischen Auswirkungen — im Falle von rBST wird eine eine weitere Beschleunigung des Konzentrationsprozesses in der Landwirtschaft erwartet — berücksichtigt werden.

Euro-Parlamentarier wie die Deppen ausgetrickst

Um die Einführung dieser schwierigen „Hürde“ zu verhindern, schickte der US-Landwirtschaftsminister seine Mitarbeiterin Martha Steinbock Anfang des Jahres nach Brüssel. Resultat: EG-Landwirtschaftskommissar Ray Mac Sharry pfiff seine Mitarbeiter zurück. In gleicher Sache ließ Yeutter bereits am 6. April 1990 den damaligen US-Botschafter bei der EG, Thomas Niles, einen Brief an Jacques Delors schreiben. Darin empfahl er dem EG- Kommissionpräsidenten, doch möglichst den Beschluß des Europaparlaments zu ignorieren. Gesagt, getan: Mitte März gab das zuständige EG- Gremium, dessen Mitglieder zum Teil auch auf der Gehaltsliste von Chemiefirmen stehen, wie Kommissar Bangemann eingestehen mußte, sein Plazet — trotz Bedenken wegen gesundheitlicher Auswirkungen von rBST auf die Kühe. Für seine effektive Betätigung als Lobbyist wurde Niles diesen Monat zum stellvertretenden Außenminister der USA mit Geschäftsbereich Europa ernannt.

Die Erfolge der Gentech-Lobbyisten haben inzwischen die Europaabgeordneten in Alarmstimmung versetzt. In den Fluren und Sitzungssälen des Hohen Hauses scheint sich herumgesprochen zu haben, daß die Euro-Parlamentarier nicht nur vom Ministerrat, der die Gesetze beschließt, und von der EG-Kommission, die die Gesetze vorbereitet, ständig ausgetrickst werden. Das sogenannte „demokratische Defizit“ in der EG führt offensichtlich auch dazu, daß einzelne Lobbyisten vom Schlage Brian Agers weitaus einflußreicher sind als die 536 von den EG- Mitgliedsvölkern gewählten Abgeordneten. Auf die mindestens 3.000 Lobbyisten in Brüssel hochgerechnet, die Parlament, Kommission und Ministerrat bearbeiten, gewinnt das Ungleichgewicht nach Ansicht des britischen Labour-Abgeordneten Donnelly bedrohliche Ausmaße.

Um dem Wildwuchs und der Unterwanderung der eigenen Stellung einen Riegel vorzuschieben, soll das Parlaments-Präsidium nun erstmals Lobby-Regeln aufstellen. Denn im Unterschied zum US-Kongreß in Washington, wo nur akkreditierte „Berater“ nach genau festgelegten Richtlinien ihrem Geschäft nachgehen dürfen, gibt es in der EG noch keine offiziellen Regeln für den Umgang mit Lobbyisten. Den Machtverlust wird jedoch auch das Regelwerk nicht aufhalten können. Schließlich sind weder die Mitgliedsregierungen noch die EG- Kommission bereit, ihre Stellungen freiwillig zu räumen. Um ihren Einfluß auszubauen, sucht sich letztere vielmehr Verbündete im Lobby- Umfeld oder schafft sich ihre Lobbyisten gleich selbst — im Verbund mit der Industrie oder den sogenannten Nichtregierungsorganisationen (NGO), wie Umwelt-, Verbraucher- und andere nichtkommerzielle Verbände im internationalen Sprachjargon genannt werden.

Gen-Technologie als Glaubenskanon

Bestes Beispiel — Brian Ager: Er arbeitete früher in der „Abteilung zur Koordination der Biotechnologie“ (CUBE) in der EG-Kommission. Seine wichtigste Aufgabe bestand darin, das Ansehen der Gentechnologie in der Bevölkerung zu fördern. Nur wenige Monate, nachdem auch die Industrie-Chefs die Wichtigkeit der Förderung ihrer Zunft eingesehen und die Consulting SAGB gegründet hatten, wechselte er zu der „Beratergruppe“. An einem fast noch spektakuläreren Coup versuchte sich sein damaliger Chef, Mark Cantley, in den vergangenen Monaten. Ausgerechnet der internationalen Umweltgruppe „Freunde der Erde“ wollte er den Mann seiner Wahl unterjubeln. Dieser sollte die kritischen Aktivitäten der europäischen Umweltverbände in Sachen Gentechnologie von Brüssel aus koordinieren — zum Wohle der „Industrie der Zukunft“.

Daß dieser Schachzug fast geklappt hätte, hängt mit dem chronischen Geldmangel der NGOs zusammen. Die Bedürftigkeit führt zu einer eigenartigen Symbiose zwischen diesen Organisationen und der EG- Kommission, die nicht selten in direkte Abhängigkeit mündet. Resultat ist ein Ballspiel gegenseitiger Gefälligkeiten. Für die NGOs fällt meist nur dann etwas ab, wenn sie von den Kommissionsbeamten als Bündnispartner in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Abteilungen der eigenen Verwaltung oder im Kampf gegen den allmächtigen Ministerrat genutzt werden können.

Dies sind jedoch Niederungen einer Zunft, der sich Brian Ager nicht zugehörig fühlt. Er operiert vielmehr im trauten Rahmen einer verschworenen Gemeinde von Gentechnologie-Gläubigen, deren Mitglieder — meist britischer Abstammung — strategische Posten in den EG-Institutionen besetzt halten. Welche Beweggründe sie motivieren, weiß er mit einem Gleichnis zu beantworten: „Ich persönlich glaube, daß es eine sehr wichtige Technologie ist, weil sie enorme Vorteile mit sich bringt und bringen wird — für die Medizin, in der Landwirtschaft, aber auch für die Dritte Welt. Wir müssen unsere landwirtschaftliche Effizienz steigern, weil die Zahl der Menschen auf unserem Planeten ständig wächst, die Fläche bebaubaren Bodens aber gleich bleibt. Man kann bereits sehen, was passiert, wenn man dies nicht tut.“

Um hier — auf ihre Weise — Abhilfe zu schaffen, engagieren sich die SAGB-Eminenzen auch bei den GATT-Gesprächen zum weltweiten Abbau von Handelsbarrieren. Schließlich verhungern Menschen in der 3. Welt nicht deshalb, weil dort zu wenig ertragreich angebaut wird. Vielmehr sind es die Agrargroßmächte EG und USA, die mit ihren subventionierten Exporten landwirtschaftlicher Güter systematisch die Märkte — und damit den Anbau — in anderen Ländern unterminieren. Eine Tendenz, die durch die zukunftsweisende Kombination GATT und Gentechnologie noch beschleunigt wird.