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Brüchige Einheit im neuen Äthiopien

Lynchjustiz und Demonstrationen erschüttern den Frieden in der Hauptstadt/ Sowjetische Botschaft wurde geplündert/ Eritrea kündigt eigene Regierungsbildung an/ Mengistus Geheimdienstchef kam mit „Operation Salomon“ nach Israel  ■ Aus Addis Abeba Bettina Gaus

So hatten wir uns den Empfang nicht vorgestellt. Der Flughafen der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba ist unzerstört — und fast vollständig verlassen. Erst nach einigen Minuten nähern sich einige Äthiopier. Sie lächeln freundlich, zeigen aber weiter kein Interesse. Keine Paßkontrolle, keine Gepäcküberprüfung — nichts.

Die neue Übergangsregierung hat den Flughafen geschlossen. In der Nähe des Hauptgebäudes stehen vier sowjetische Antonow-Flugzeuge — mit voller Besatzung an Bord. Die Crews haben die letzte Möglichkeit zum Abflug vor dem Machtwechsel verpaßt und werden jetzt durch einen ebenso einfachen wie wirkungsvollen Trick an der Ausreise gehindert: Vor ihre Flugzeuge sind Busse als Barrieren hingestellt worden. „Die Russen sind hier nicht mehr populär“, sagt ein britischer Kollege. „Angeblich gehört die sowjetische Botschaft zu den ganz wenigen Gebäuden, die bisher geplündert wurden.“

Mindestens ein Teil der Bevölkerung von Addis Abeba scheint den Machtwechsel zu begrüßen. Die Straßen sind voller Menschen. Auch kleine Marktstände, die Obst und Gemüse feilbieten, haben geöffnet. Einem vorbeirollenden Panzer wird zugewinkt — Geste der Freundschaft oder des vorauseilenden Gehorsams? Der militärische Widerstand gegen die neue Regierung scheint jedenfalls endgültig gebrochen zu sein. Wenige bewaffnete Patrouillen sind in der Innenstadt zu sehen.

Die Halle des feudalen Hilton- Hotels ganz in der Nähe des Präsidentenpalastes ist eine friedliche Oase der Muße: Äthiopier und Ausländer sitzen an der Bar, plaudern und trinken eisgekühlte Cola und Bier. Im Restaurant gegenüber speisen Gäste, die aus einer reichhaltigen Speisekarte wählen können. Sollte der jahrelange, blutige Bürgerkrieg wirklich so friedlich zu Ende gehen? Es gibt hoffnungsvolle Zeichen: UNO-Vertreter haben mit Repräsentanten der Eritreischen Volksbefreiungsfront EPLF, die fast 30 Jahre für die Unabhängigkeit ihrer Provinz gestritten hat, über die Wiederaufnahme der Hungerhilfe verhandelt. 100.000 Tonnen Nahrungsmittelhilfe lagern seit Tagen ungenutzt in der am Samstag von der EPLF in der Hafenstadt Assab. Die Lebensmittel können noch nicht zu den Hungernden gelangen — aber sie sind auch nicht angerührt worden.

Noch ist der Frieden nicht gesichert. Mehrere tausend Jugendliche demonstrierten gestern in der Innenstadt. Sie schwenkten Zweige und riefen antiamerikanische Parolen — kaum im Sinne der neuen tigreischen Machthaber. Lange aufgestauter Haß in der Bevölkerung droht sich jetzt Bahn zu brechen. Der Leiter eines Stadtviertels wurde von wütenden Anwohnern gelyncht. Vor dem Informationsministerium versammelten sich Bürger von Addis Abeba, die die Herausgabe des dort festgehaltenen ehemaligen Politbüromitglieds Legesse Asefa forderten. Der Mann kann als Pechvogel des Jahres in die Geschichte eingehen: er versuchte am selben Tag wie Mengistu zu entkommen, wurde aber von der damals noch amtierenden Nachfolgeregierung verhaftet. Als die Gefängnisse geöffnet wurden, entkam er erneut — und wurde wiederum festgenommen, dieses Mal von den neuen Regenten. Die Chancen für eine dritte Flucht stehen schlecht.

EPLF will eigene Regierung bilden

London (dpa/taz) — Die Rebellen in Eritrea wollen eine eigene provisorische Regierung bilden. Dies kündigte der Generalsekretär der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF), Issaias Afwerki, gestern in London an. Er sagte, die provisorische Regierung werde die Provinz solange verwalten, bis eine UNO- überwachte Volksbefragung über eine mögliche Unabhängigkeit stattgefunden habe. Dies kann nach Angaben deutscher EPLF-Vertreter frühestens in etwa 18 Monaten geschehen, da zuerst die 750.000 eritreischen Flüchtlinge in Sudan repatriiert werden müßten. Afwerki machte klar, daß die EPLF nicht an der Übergangsregierung der Revolutionären Demokratischen Front des Äthiopischen Volkes (EPRDF) in Addis Abeba teilnehmen werde. Damit wird es zwei provisorische Regierungen auf dem Territorium des bisherigen äthiopischen Staates geben.

Mengistu-Vertraute in Israel

Tel Aviv (taz) — Nach israelischen Presseberichten sind zusammen mit den 14.000 äthiopischen Juden am letzten Wochenende auch vier prominente Mitglieder des Mengistu- Regimes in Israel gelandet. Darunter soll sich der Sonderbeauftragte bei den israelisch-äthiopischen Verhandlungen, Kasa Kabede, sowie der ehemalige stellvertretende Innenminister Mirsah befinden. Die anderen beiden werden als hochrangige Sicherheitskräfte beschrieben, die direkt an der Evakuierung der äthiopischen Juden beteiligt waren. Alle vier werden wohl in die USA oder nach Kanada weiterreisen.

Weiter sollen im Rahmen der „Operation Salomon“ zwei hochrangige jüdische Regierungsbeamte aus Äthiopien nach Israel gebracht worden sein: Ainahu Alamanakh, der Chef des äthiopischen Geheimdienstes, und ein Provinzgouverneur.

Die äthiopischen Juden, die nach der israelischen Evakuierung im Lande zurückgeblieben waren, sollen inzwischen nach Angaben der „Jewish Agency“ auf einem „sicheren Areal“ in Addis Abeba versammelt sein. Der israelische Äthiopien- Sonderbeauftragte Uri Lubrani erklärte am Dienstag vor dem Einwanderungskomitee der Knesset, daß auch sie bald nach Israel gebracht werden. Amos Wollin

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