: Die Liebe zum Auto ist Autosuggestion
■ Bremer Sozialwissenschaftler untersuchten Probleme beim Verzicht auf das Auto
Mit dem Auto ist es wie mit den Zigaretten: Über das „Aufhören“ wird dauernd geredet, es scheint aber schwer zu sein, den Schritt wirklich zu tun.
Warum das so schwer ist und welche Probleme wirklich entstehen, haben jetzt Bremer Sozialwissenschaftler um Professor Thomas Krämer-Badoni im Auftrag des Instituts für Stadtentwicklungsforschung (Dortmund) untersucht. Ihr überraschendes Resultat: Das Hauptproblem liegt im Bereich der Autosuggestion. Die Testfamilien der Wissenschaftler mußten einen Monat lang Tagebuch führen über auftretende Transportprobleme und über ihre Erfahrungen ohne Auto. Die Test-Teilnehmer erlebten die Situation ohne Auto zunächst als „defizitär“. Erst die Gespräche über das Leben ohne Auto hat vielen den Verzicht erleichert: „Vier von sechs beteiligten Haushalten verkauften ihr Auto“, stellten die Wissenschaftler nach ihrem Experiment stolz fest.
„Es ist einfach praktischer“ findet Frau Knicker jetzt, die an dem Test teilgenommen hat. Auch mit drei Kindern — die größeren müssen selbst in die Pedale treten, die Kleinen kommen in den Fahrradanhänger, der auch bei Großeinkäufen zum Einsat kommt.
Zweites überraschendes Resultat: Nicht der öffentliche Nahverkehr wird als direkte Alternative zum Auto verstanden, sondern das Fahrrad. Das Fahrrad bietet die Flexilbilität, die dem Auto zugeschrieben wird, in der Stadt ist es genauso schnell, es ist vor allem individuell verfügbar. Herr Timmermann, ein anderer Test-Teilnehmer, fuhr bisher täglich mit dem Auto zur Arbeit — seit dem Test ist er aufs Fahrrad umgestiegen. Nur an Regentagen ist dies die unbequemere Alternative. Der öffentliche Nahverkehr hatte für die Testhaushalte nur sekundäre Bedeutung als Alternative zum Auto: Fahrplan und Tarifsysteme werden als unübersichtlich erlebt, für die Strecken, die nicht mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können, dauert der Bus meist erheblich länger. Direkt ans Ziel bringen einen Bahn und Bus selten.
Wichtig für den freiwilligen Autoverzicht ist also die technische Ausstattung der Fahrräder und die Gestaltung der Fahrradwege. Gerade dann, wenn Fahrradanhänger für Großeinkäufe benutzt werden oder Kinder mitkommen, müßte auf die Oberfläche der Radwege genauso geachtet werden wie auf die der Autostraßen. Zudem spielt das „Erlebnisumfeld“ eine Rolle: „Fahhradwege parallel zu verkehrsreichen, stinkenden Straßen“ erleichtern das Umsteigen nicht.
Als wichtiges Hindernis beim Auto-Verzicht bleibt das schlechte ÖPNV-Angebot am Wochenende ins Umland und die Verfügbarkeit eines Autos in unvorhergesehenen Fällen — hier scheint die Mitgliedschaft in einem „Stadtauto“-Verein eine zwingende Rückversicherung beim Auto-Ersatz. Mehr noch als das Taxi: Daß der berufstägige Mann mit dem Taxi mal zum Bahnhof fährt, scheint selbstverständlich; daß frau ein Taxi ruft, wenn sie man mit schweren Taschen vorm Kaufhauf steht, ist kaum denkbar. Unterm Strich haben alle Teilnehmer am Test die Erfahrung gemacht, daß sie das Auto weniger oft brauchen als sie gedacht hatten. K.W.
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