: „Selbstverwaltet in Rente gehen“
■ Das Netzwerk selbstverwalteter Betriebe feierte seinen „10ten“
Daß das wilde Schwein, Schutzengel der Netzwerk Selbsthilfe, am Samstag nachmittag beim „Schlachten“ der Geburtstagstorte sorgfältig verschont wurde, hatte offensichtlich symbolischen Charakter. Zehn Jahre Netzwerk: die Finanzlobby alternativer Projekte feierte, hielt im angestammten Lagerhaus Rückschau und faßt mit einem „Geburtstagspalaver“ gleich die nächsten zehn Jahre ins Auge.
„Damals, als die Männer noch lange Haare und Bärte hatten, da fing es mit den alternativen Projekten an“, plauderte Andreas Tabukasch vom selbstverwalteten Projekt AUCOOP und seit mittlerweile 12 Jahren dabei, aus dem Nähkästchen. So hat die AUCOOP als eines der ersten Projekte eine ABM-Maßnahme durchgeführt, dies zu einer Zeit, als es noch die Debatte gab, ob „Staatsknete“ von den Alternativen überhaupt angenommen werden sollte. „Das war noch so'n bißchen der Sündenfall“, so Andreas Tabukasch. Heute sind ABM-Stellen nicht mehr wegzudenken.
Überhaupt hat sich eine Menge geändert: mehr und mehr geht es um Professionalisierung, Lohnangleichung an Tariflöhne und Akzeptanz der offensichtlich doch bestehenden Hierarchien (vgl. a. taz 1.6.). Auch die Voraussetzungen für die selbstorganisierten Betriebe haben sich geändert: heute wäre es wohl nicht mehr denkbar wie damals, daß sich „wenige qualifizierte und viele unqualifizierte Menschen zusammenfinden und einfach mal machen“. Dafür sind die Ansprüche auch an „alternative“ Dienstleistungsunternehmen inzwischen zu hoch. „Auch Kunden aus der Szene wollen nicht sechs Wochen lang auf die Reparatur warten und solange kalt duschen“, erzählt Tabukasch vom Elektrobetrieb der AUCOOP. Im Laufe der Jahre sei man von „vier Stunden Diskutieren und Teetrinken und vier Stunden Arbeiten am Tag“ weggekommen, dabei sei auch der politische Anspruch etwas verlorengegangen: „Das Ganze wird von der Berufung immer mehr zum Beruf“.
So ganz einig sind sich die etwa 30 Geburtstagspalaver-Gäste, von denen viele selbst „ProjektlerInnen“ sind, über diese nüchterne Analyse aber nicht. Das Kreative, Widerspenstige, Utopische habe sich eben doch noch nicht ganz „abgerappelt“ und liefe heute nicht unter „total normal“: einige wollen auch weiterhin Einheitslohn bekommen, wollten experimentieren und „selbstverwaltet in Rente gehen“, so wünscht sich zum Beispiel Trudi Ehrling vom Frauenprojekt „Belladonna“. Und Klaus-Dieter Werner von der Ingenieurgemeinschaft meint, daß der Hauptunterschied zu normalen Betrieben doch nicht darin bestehe, daß „es keinen Chef gibt, sondern daß die Leute, die in Projekten arbeiten, ganz andere Energien mitbringen“ — ein Potential, mit dem auch weiterhin gearbeitet werden könne. Die wichtigsten Wünsche an die Zukunft bleiben wurden im alten Jargon formuliert: stärkere „Vernetzung“ der Projekte und Professionalisierung. Gemeint war meistens aber etwas neues: mehr Geld. Am Abend schenkten die Netzerwerker zur großen Geburtstagsfeier immerhin Sekt aus. Susanne Kaiser
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