IRA-Prozeß mit stumpfer „Waffe“

Im Düsseldorfer IRA-Prozeß demontiert sich der Schriftgutachter der Bundesanwaltschaft erneut selbst/ „Ich bin im Grunde ein Fossil“/ Anklage gegen Hanratty und McGeough wackelt  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Irgendwann am späten Freitag nachmittag wird es selbst dem Senatsvorsitzenden Wolfgang Steffen im hoch gesicherten Düsseldorfer Gerichtsbunker zu bunt. „Wie können Sie so etwas behaupten, Herr Oeckelmann? Haben Sie nachgemessen?“ Das hat Oeckelmann nicht, muß er auch nicht, denn der Hamburger Schriftgutachter erkennt mit dem bloßen Auge, was andere Schriftsachverständige nicht einmal unter dem Elektronenmikroskop wahrzunehmen in der Lage sind. Am Freitag, im Prozeß gegen die beiden Iren Gerald McGeough und Gerald Hanratty, denen die Bundesanwaltschaft unter anderem die Beteiligung an einem Bombenanschlag in Duisburg vorwirft, geht es um 13 Buchstaben. Bei der Festnahme der beiden Angeklagten waren im Fond ihres Wagens zwei gefälschte holländische Kennzeichen gefunden worden, auf die jemand in großformatigen Druckbuchstaben „front“ und „back“ und ein weiteres zierliches „back“ gemalt hat. Das Fahrzeug, mit dem die Duisburger Täter geflohen sind, soll nach der Anklage mit diesen Nummernschildern ausgestattet worden sein. Zeugen, die das Kennzeichen am Fluchtfahrzeug erkannt hätten, gibt es nicht. Der Schriftsachverständige Oeckelmann glaubt aber, daß die großformatigen Wörter „front“ und „back“ mit einem „hohen Grad an Wahrscheinlichkeit“ von Hanratty stammen. Barbara Wagner, die Schriftsachverständige des BKA, und der Mannheimer Hochschullehrer Prof. Dr. Michel, der als der Papst der deutschsprachigen Schriftsachverständigen gilt, kommen indes zu völlig anderen Schlußfolgerungen. Frau Wagner hat die Auswertbarkeit „der fraglichen Schreibleistungen wegen des relativ geringen Umfangs und der eingeschränkten graphischen Ergiebigkeit“ verneint. Prof. Michel glaubt, daß Hanratty „wahrscheinlich nicht“ der Urheber sei.

Am Freitag trafen sich alle drei Gutachter vor dem Oberlandesgericht. Buchstabe für Buchstabe ging der Streit. Zum Beispiel das T: Auffallend auf dem Nummernschild ist, daß Dachbalken und Stamm beim T fast die gleiche Länge aufweisen. Prof. Michel hat ein Verhältnis von 1:1,1 gemessen. Bei 20 zufällig ausgewählten T aus dem Vergleichsschriftmaterial des Angeklagten Hanratty fand Michel eine davon deutlich abweichende Relation von 1:2,5. Oeckelmann, vom Gericht dazu befragt, behauptet rundweg, daß das in Rede stehende T „nicht das Verhältnis 1:1,1 aufweist“. Wie er dazu kommt? Er sieht es. Bei einem anderen Buchstaben geht es um die Frage, ob Strich A Strich B überdeckt. Oeckelmann erkennt auch das mit dem bloßen Auge. Bei dieser Behauptung zeigt der ruhig und besonnen wirkende Prof. Michel erstmalig so etwas wie Erregung: „Das ist unseriös, man kann nicht Dinge herbeireden, die nicht wahrzunehmen sind.“ Selbst unter dem Elektronenmikroskop seien solche Überlagerungen nicht nachweisbar. Oeckelmann ficht auch dieser Einwand nicht an. „Die Aufassung teile ich nicht.“ Wie Oeckelmann arbeitet, zeigt ein weiteres Detail. Die Druckschrift auf dem Nummernschild weist eine deutliche Schräglage nach rechts auf. Im Vergleichsschriftmaterial von Hanratty finden sich eine Anzahl von Worten in Druckschrift, alle zeichnen sich durch eine extreme Steillage aus. „Wenn überhaupt, dann zeigt die Schräglage, daß Hanratty nicht der Urheber sein kann“, findet Prof Michel. Oeckelmann umgeht dieses Problem, indem er das Druckschriftvergleichsmaterial in diesem Punkt unter den Tisch fallen läßt und statt dessen Hanrattys Schreibschrift zum Vergleich heranzieht. Die hat tatsächlich eine Schräglage und paßt damit zu seiner These. Die BKA-Sachverständige Wagner kann jetzt nicht mehr an sich halten. „Das ist charakteristisch für Herrn Oeckelmann, daß er sich immer das herauspickt, was in seinen Befund paßt.“

Auch diesen Einwurf steckt der 70jährige Oeckelmann ungerührt weg. Er räumt lediglich ein, innerhalb der Zunft nicht auf der Linie der herrschenden Meinung zu liegen. Früher sei das anders gewesen, aber inzwischen hingen fast alle der Schule des Professors Michel an. Ockelmann wörtlich: „Ich bin im Grunde ein Fossil.“ Um die „Einmaligkeit“ einer Schrift zu erkennen, brauche man aber nicht viel Theorie, sondern „Wahrnehmungsqualitäten“. Menschen mit einem „feinen Gehör“ könnten auch mehr aufnehmen als Durchschnittsbürger. Wer den Blick nicht dafür habe, wer „die handschriftliche Verwandtschaft nicht sehe“, der könne es eben nicht.

Dieser „Sehende“ dient der Karlsruher Bundesanwaltschaft seit Jahren als eine Art „Geheimwaffe“. In mehreren Stammheimer RAF- Prozessen wurde er von der Bundesanwaltschaft als einziger Schriftgutachter aufgeboten. Der Düsseldorfer Rolf Hartung saß wegen Oeckelmann neun Monate in U-Haft. Erst als ein LKA-Gutachter nachwies, daß das Ockelmann-Gutachten „vom Ergebnis her falsch“ war, kam Hartung frei und später in den Genuß einer Haftentschädigung.

Nach Ockelmanns Auftritt stehen die Ankläger in bezug auf den Duisburger IRA-Anschlag ziemlich nackt da. Überzeugende Beweise für die Täterschaft der beiden Angeklagten hat der Prozeß bisher nicht erbracht.