: Erbarmungslos positiv: der Deutsche Kommunikationstag
All jene, die mit uns darüber kommunizieren, daß das Leben schön ist oder wenigstens schön sein könnte, trafen sich im Berliner Congress Centrum ■ Aus Berlin Peter Blie
Es ist offenbar eine Kunst geworden: das Neinsagen. Da haben sie alle geklatscht auf dem 5.Deutschen Kommunikationstag im Berliner Congress Centrum, dem Internationalen. Die da geklatscht haben, waren Werber, Public-Relations-Fachleute, Marketing-Spezialisten, Corporate Identity Designer, Creativ-Direktoren, Texter, Anzeigenakquisiteure; kurzum, all jene, die mit uns, den öffentlichen Konsumenten, tagtäglich darüber kommunizieren, daß das Leben schön ist beziehungsweise schön sein könnte, wenn wir doch nur Ja sagen würden. „Ja, geben Sie mir bitte ein viertel Pfund von dem Lebensgefühl da, ja!“
Und plötzlich klatschen sie, diese Artisten der Affirmation; beklatschen sie die Kunst des Neinsagens? Plötzlich haben sie uns überholt, uns, die wir uns so sehr bemühen, das Post-68er-Negativ-Denken in dem Think-positive-Transformator gut werden zu lassen. Verkehrte Welt?
Aber nein, es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Es geht nicht um die generelle Rehabilitierung der Kategorie des Negativen, sondern um das reinere Ja; per Negativum ad Yes, sozusagen. In diesem konkreten Fall ist es die Frage der Terminprioritäten, da doch der Macher-VIP sich inzwischen durch seine dünnen Terminkalender auszeichnet. Zu welchen Verabredungen muß ich Nein sagen, damit mir die Zeit für das richtige Eigentliche bleibt, für das „Ja, das ist es“?
Fragt sich, ob's das wirklich war, ob die Versammelten sich diesmal richtig entschieden haben. 1.700 termingeplagte Menschen kommen höchst freiwillig in Berlin zusammen, um unter der Tagungsüberschrift „Konsequenzen“ über ihre berufliche Perspektive in einer veränderten Welt zu kommunizieren. Geboten wird eine Show, wie sie für Kongresse, Symposien und Tagungen formal richtungweisend werden könnte: Der RTL-Fernsehmann Geert Müller-Gerbes annonciert die Referenten und Disputanten als Gladiatoren und brilliert als Moderator der Talkshows — „dieser Redebeitrag nützt nichts für unser Thema, aber er schadet auch nicht“; die Referenten referieren lichtbild- beziehungsweise videogestützt vor einer Leinwand; der Kabarettist Jochen Busse liefert nach jeder Themensequenz eine Zusammenfassung, also auch zu Euro-Kommunikation, Euro-Akzeptanz, Euro-Marketing, Euro- Face, Euro-Landschaft, Euro-Kreativität: „Meine Nachbarn, die Schmidts, fahren seit 17 Jahren nach Spanien und sagen, die Spanier können immer noch kein Deutsch.“ Und wenn nach des Tages Tagungsmüh der Gala-Abend mit Büffet im Pergamon-Museum an der Spree zelebriert wird — dann stimmt das alles schon sehr unterhaltsam. Doch.
Doch was passiert, wenn der Moderator in sein drahtloses Mikrofon schreit: „Und jetzt hören Sie die einzigen, die wirklichen, die einzig wirklich Kompetenten zu unserem Thema Komplexität & Konsequenzen, Sie hören, Sie sehen: Dr.Peter Gomez und Dr.Gilbert Probst!“ Und zwei Jogger rennen in ihren mittelmäßig verschnittenen Anzügen um die Wette zu ihren Rednerpulten (Acryl) und haspeln die uralte Theorie herunter, daß im modernen Management autoritäre Problemlösungen einem vernetzten Denken zu weichen haben. Und danach kommt Jane R. Fitzgibbon, Senior Vice President und Group Director der TrendSights Division von Ogilvy & Mather, New York, extra eingeflogen, um unter der Headline „Konsequenzen für die Kommunikation“, Abteilung „Globale Trends & konkrete Auswirkungen“, mitzuteilen, daß die UdSSR sich als auseinanderbrechendes Staatengebilde nicht vor dem Jahre 2000 konsolidiert haben wird; die Afrikaner immer mehr und die Alten immer älter werden, obwohl doch die Kosmetikindustrie ungebrochen darauf setzt, daß jung besser als alt ist; daß es nach wie vor um die Steigerung des Umsatzes geht und daß das nur mit den Werbern geht, denn sie sind die Zauberer, denn sie haben die Information, und Information ist Macht, und Macht ist Geld, aber über Geld reden wir hier nicht...
Man schenkt sich dann die vorhersehbaren Podiumsdiskussionen über die Umweltverträglichkeit von Verpackungsmüll; um die authentische Identität der Coporate Identity; man pausiert, fragt sich, was man eigentlich mit seiner Zeit anstellt, und schlendert durch das Tagungsumfeld: Die 'Wiener‘-Zeitschrift verteilt sich als Freiexemplar, mit diesem außergewöhnlich unterleibsaufregenden Madonna-Interview plus einer Packung Tempo-Taschentücher, auch gratis. Das ist Doppelkreativität.
Auf der gegenüberliegenden Präsentationsbrücke erregen sich die Kommunikationsfachhochschulen für ein wirklich bejahendes Verhältnis von Theorie und Praxis: Sie verteilen Elektrokabel mit der Aufforderung, sich am Wettbewerb der kreativen Drahtbiegearbeiten zu beteiligen. Wer setzt die schärfsten Lust-Stromstöße?
Und deswegen sind diese 1.700 Kommunikationstag-Teilnehmer angereist? Trotz ihrer Zeitnot. Ich flüchte mich wieder in die „Unsicht- Bar“. In jene Installation also der Stiftung Blindenanstalt Frankfurt/sicherlich Main, zugunsten von Behinderten, Sehbehinderten. Es zeugt in der Tat von der hochsensiblen Selbstreflektion der Veranstalter, daß sie dieses schwarze Environment naht- und drahtlos in ihr Programm integrieren konnten unter der Überschrift „Dialog im Dunkeln“ — oder war es „die neue Dimension der Kommunikation“ — egal.
Man tritt durch eine Lichtschleuse in absolute Dunkelheit, tastet sich an einem Seil durch einen Hör-Urwald, über schwankende Fühl-Brücken bis zu einer Bar vor und verharrt. Natürlich sind noch andere Barbesucher- Menschen im Raum und giggeln positiv überlegen. „Dieter, jetzt habe ich dich erkannt, an deinem dicken Bauch.“ Aber da hinten, da sitzt einer oder eine... Ich spüre es — eine, die auch die Gedanken in der Ruhe der Dunkelheit aufspüren möchte. Lange und still sitzen wir uns auf Vermutungen gegenüber.
Endlich eröffne ich den schwarzen Dialog mit einem wenig galanten, doch einfühlsamen „Und?“ Wie angestaut und übersprudelnd antwortet sie mir: „Die Vorträge von Christiane Müller-Wichmann und Hans Holländer über die Zeit, das waren die Höhepunkte. Wir können die Beschleunigung nicht einholen. Selbst wenn wir noch so positiv denken.“ „Sie sind...“, will ich vorsichtig vorstoßen. „Ich habe“, antwortet sie, „ich habe 74 Angestellte, und alle denken positiv. 18 von ihnen sind auf diesem Spektakel. Alle positiv. Ich will, nein, ich will tatsächlich einen oder eine, mir egal, die die Entschleunigung der Zeit als ein Jahrhundertprojekt denken kann. Eine, die nicht auf der Überholspur rast; eine, die zu bremsen versteht.“
Ich nicke freundlich, im Dunkeln, verlasse tastend die Bar und beschließe, den Artikel zu schreiben. Wegen dieses schönen Wunsches. Peter Blie
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