Einzige Prozeß gegen einen Freisler-Gehilfen

■ Vor 21 Jahren begann Verfahren gegen Nazi-Richter

Berlin. Der 5. Juni 1967 ließ die Hoffnung aufkeimen, daß Verbrechen von Richtern an Hitlers Volksgerichtshöfen gesühnt werden. Im Schwurgerichtssaal des Kriminalgerichts in Moabit begann der Prozeß gegen den ehemaligen Kammergerichtsrat Hans-Joachim Rehse, der seine Unterschrift unter mehr als 200 Todesurteile gesetzt hatte. Der Fall Rehse wurde 1965 auf Anordnung des Generalstaatsanwalts beim Berliner Kammergericht von der Staatsanwaltschaft Flensburg übernommen. Im Dezember desselben Jahres wurde Rehse beschuldigt, vom 15. Juli 1943 bis 28. Oktober 1944 durch 44 Todesurteile »aus niedrigen Beweggründen« Menschen getötet zu haben.

Die schwierige Beweislage führte zur Reduzierung der Anklage auf vollendeten Mord in drei und versuchten Mord in vier Fällen. Schon am ersten Prozeßtag bekannte Rehse: »Ich wagte es nicht, irgendeine Unterschrift zu verweigern.« In seinem Schlußwort äußerte er, bei Fällen von »Wehrkraftzersetzung« habe er keine milden Strafen gebilligt, sondern habe auch hier nach »bestem Wissen und Gewissen geurteilt«. Am 3. Juli 1967 wurde Rehse wegen Beihilfe zum Mord beziehungsweise versuchtem Mord in sieben Fällen zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Generalstaatsanwalt und Verteidigung legten Revision ein. Das Urteil wurde am 30. April 1968 vom fünften Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe aufgehoben und an das Schwurgericht zur neuen Verhandlung zurückverwiesen. Diese begann am 5. November 1968. Wiederum forderte die Staatsanwaltschaft lebenslang, die Verteidigung Freispruch. Das Urteil vom 6. Dezember 1968: »Der Angeklagte wird freigesprochen.« Beim Nazi- Volksgerichtshof habe es sich um ein »unabhängiges, nur dem Gesetz unterworfenes Gericht« gehandelt, hieß es zur Begründung. Der Einstellung des Verfahrens nach dem Tode von Hans-Joachim Rehse am 5. September 1969 folgte die Liquidierung aller 95 anhängigen Strafverfahren gegen ehemalige Richter und Staatsanwälte beim Volksgerichtshof durch die Staatsanwaltschaft des Berliner Landgerichts. Eberhardt Schmidt (adn)