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JUDITH HERZBERG

Die 1934 in Amsterdam geborene Judith Herzberg hat als Kind jahrelang getarnt in Holland gelebt, während ihre Eltern in Bergen-Belsen inhafiert waren. Sehr früh, 1962, fing sie an, erste Gedichte zu veröffentichen. Heute, nach acht Gedichtbänden, zählt sie in unserem Nachbarland zu den unbestritten großen lyrischen Begabungen. Bei uns ist sie vor allem als Herausgeberin des Bildbandes mit Arbeiten der 1943 in Auschwitz ermordeten jungen Berliner Künstlerin Charlotte Salomon und als Theaterautorin bekannt geworden, ihr von 'Theater Heute‘ gepriesenes Stück Leas Hochzeit wird gerade in Wien gespielt; Luc Bondy möchte an der Berliner Schaubühne Tohuwabohu mit Marianne Hoppe in der Hauptrolle aufführen. Ein Wunsch, der hoffentlich in Erfüllung geht.

In einer Laudatio auf Judith Herzberg hatte Christoph Meckel 1984 einfühlsam ausgeführt, daß ihre poetische Sprache ohne Rhetorik, ohne Eloquenz, ohne präzeptorischen Aufwand, ohne die Nachempfindungen des Feuilletons auskomme. Ihre Sprache sei „selbstverständlich anderswo“. Der Beginn des Gedichts Zeichen für Dynamit kann Auskunft geben, worum es sich handelt: „Verfielen fast wieder ins Reden, ein Reden,/ das Liebe nicht zur Liebe einlädt, sondern/ ausfranst, also ich raus in den Abend/ Blätter anschauen.“ Die Sprache der Gedichte ist klar, manchmal vertrackt und widerborstig, immer ohne auch nur einen unechten Laut, auch im Schlimmsten noch mit trockenem Humor oder zärtlicher Kritik versehen. Skepsis verhindert Pathetik. So heißt ein Gedicht, das den Sommer und sommerliche Unbedrohtheit beschwört, bezeichnenderweise Zwischen den Eiszeiten. Insgesamt ist der Grundton ihrer Gedichte über fast drei Jahrzehnte der gleiche geblieben. Ohne allzu großes Zutrauen werden Tagesreste, Kindheitserinnerungen, Fragmente der eigenen Geschichte (das geschwisterliche Erkennen z.B. in der Sulamith des Hohen Lieds), Rückstände von Reisen, Treibgut beschworen, aus denen Zukunft kommen muß. Dabei gehen Motiv und Anlaß immer in ihrer Sprache auf, einer poetischen Sprache, die unser schwieriges Dasein voll gewöhnlicher Erfahrungen und kleiner Zeichen in große Magie zu verwandeln vermag. Joachim Sartorius

Bibliographischer Hinweis: Judith Herzberg: „Tagesreste“, Gedichte, zweisprachig, übertragen von G.Grass. K.Kiwus, M.Krüger u.a. Agora Verlag, Berlin 1986

Autorenporträt in 'Theater Heute‘ 11/1990

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