: Schlankheitsideal ade
■ Eßsucht: Veranstaltungsreihe in den Stadtteilen
„Jede Frau hat irgendwann einmal mit vermeintlichen Eßstörungen zu kämpfen“, sagt Angela Timm, die seit vier Jahren Therapien mit Eßgestörten durchführt. 16 Frauen waren zu der Veranstaltung „Unstillbarer Hunger — Eßstörungen“ ins Gemeinschaftszentrum Obervieland gekommen. Sie war Teil der Frauengesundheitswoche, die gemeinsam von der Gesundheitsbehörde und elf Frauenprojekten durchgeführt wird. Gewalt gegen Frauen, Sexualität, Wechseljahre, Eßstörungen — das sind einige der Themen, die bis Ende der Woche in einer Veranstaltungsreihe die verschiedenen Stadtteile durchlaufen.
„Wir wollen die Frauen in den Stadtteilen erreichen, die die bestehenden Angebote in Bremen- Mitte nicht ohne weiteres wahrnehmen können“, erklärt Helga Loest, Sprecherin der Gesundheitssenatorin, das dezentrale Konzept. Viele der Frauen sind aus eigener Betroffenheit gekommen, bei anderen ist es die Schwester oder Bekannte, die eß- oder magersüchtig ist oder die „Freß- Kotz-Sucht“ hat.
Zunächst macht Angela Timm vom Frauentherapiezentrum klar, daß nicht jede „unnormale“ Eßgewohnheit oder jedes Kilo zuviel gleich Krankheit bedeuten: „Nicht jede dicke Frau ist eßsüchtig, und wer sich nicht eßsüchtig fühlt, ist es auch nicht,“ — auf manchen Gesichtern erleichterte Mienen. Der Zwang von Normal- und Idealgewicht, „eine von Männern aufgestellte, ganz fragliche Form“, sollte gegen die des „Wohlfühlgewichts“ ausgetauscht werden. Die eigenen Maßstäbe sollen entscheiden, nicht aufgedrückte.
Die Frauen sind sich darüber einig, daß sie sich von Schlankheitsidealen und der für Frauen typischen Verdrängung der eigenen Bedürfnisse lösen wollen. Denn das ist häufig Auslöser für Eßstörungen: Essen als Ersatzbefriedigung, Essen als Belohnung, Essen als Beruhigungsmittel. „Ich mach jetzt endlich mal das, was ich will!“, erzählt eine Betroffene. „Früher hatte ich das Gefühl, ich müßte immer für andere da sein; und wenn ich da ausbrechen wollte, dachte ich: Dann mögen mich die anderen nicht mehr.“ Das einzige, was sie für sich getan hätte, sei Essen gewesen — und das in Unmengen.
Eine andere Art, den meist von Männern gestellten Ansprüchen an die Frauenrolle auszuweichen, ist die Verweigerung von Nahrung — Magersucht. Daß auch das „Zu-dünn-Sein“ krankhaft werden kann, war einer der Frauen bis vor kurzem nicht klar: „Ich hab immer gedacht, wer schlank ist, ist auch glücklich.“ Doch für alle Erscheinungsformen gibt es dieselben Ursachen — egal, ob es der „Hunger, der nach Leben schreit“ ist oder das „Wegfressen von Problemen“.
Zur Frauengesundheitswoche wurde erstmals ein Infoblatt herausgegeben, in dem alle Beratungs- und Therapiegruppen für Eßstörungen in Bremen aufgeführt sind. Susanne Kaiser
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