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Große Unruhe bei den Selbsthilfeprojekten

■ Nachtragshaushalt sorgt für Aufregung in der Stadt/ Noch immer keine konkreten Zahlen über Kürzungen

Berlin. Viel Verwirrung und Unsicherheit ruft zur Zeit der gestern erstmals im Hauptausschuß behandelte Nachtragshaushalt bei den sozialen Projekten und Zuwendungsempfängern hervor. Konkrete Zahlen sind aus dem Entwurf nicht ersichtlich, weil in ihm nicht der Bedarf der einzelnen Projekte, sondern nur die Gesamtetats der einzelnen Senatsverwaltungen ausgewiesen sind.

Doch obwohl keine Gesamtübersicht über zu erwartende Kürzungen existiert, wurden die ersten Ablehnungsbescheide bereits verschickt. So unterschrieb der Staatssekretär für Jugend und Familie, Klaus Löhe (SPD), bereits am 9. Mai dieses Jahres blaue Briefe. Betroffen sind neben den EKT-Beratungsstellen auch einige therapeutische Jugendwohngemeinschaften. Sie sollen bis zum 30. Juni, also innerhalb von sechs Wochen, ihre Arbeit »abgewickelt« haben.

»Obwohl uns der Drogenbeauftragte Wolfgang Penkert noch im März zugesichert hatte, daß wir vorerst weiterfinanziert würden, kam völlig überraschend der Ablehnungsbescheid mit Verweis auf die angespannte Finanzlage«, klagt Rainer Hensen, Mitarbeiter zweier Jugendwohngemeinschaften für drogenabhängige Jugendliche.

»Vier der acht WG-Bewohner sind daraufhin derart durchgedreht, daß sie gleich ihre Sachen gepackt haben. Mindestens zwei von ihnen sind inzwischen rückfällig geworden.« Einzig verbleibende Chance des Trägers der Wohngemeinschaften, Trockendock e.V., ist nun, in die Pflegesatzfinanzierung der Senatsverwaltung für Gesundheit überzugehen. Doch auch dort sind die Gelder ziemlich knapp.

Eine einheitliche Verwaltungspraxis der einzelnen Senatsverwaltungen ist bisher nicht ersichtlich. Während Rita Herrmanns, Pressesprecherin der Sozialverwaltung, noch hofft, keine Streichungen vornehmen zu müssen und vor Abschluß der Parlamentsdebatte auch keine konkreten Zahlen veröffentlichen will, ist für Klaus Löhe das Thema bereits erledigt. Er verkündete gestern gegenüber der taz, es werde keine weiteren Kürzungen geben, sämtliche betroffenen Projekte seien bereits informiert worden. Im Parlament gehe es nur darum, möglicherweise die ein oder andere Mark für den Osten herauszuholen. »Von 167 beantragten Millionen für den Ostteil haben wir gerade 15 Prozent bekommen und im Westen mußten wir 12,8 Millionen Mark streichen. Doch wir sind noch hoffnungsfroh«, so meinte Löhe.

Die Projekte jedenfalls sind verärgert über die momentane Vorgehensweise. Sie werfen den Senatsverwaltungen vor, mit einem Gesamtüberblick hinter dem Berg zu halten. Auch Gerd Büttner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fraktion Bündnis 90/Grüne, vermutet eine »Strategie der Verwaltung, die Projekte handlungsunfähig zu machen« und ohne parlamentarische Kontrolle umzuschichten und zu kürzen. Seine Fraktion werde sich jedoch im Parlament während der Haushaltsberatungen für eine genauere Aufschlüsselung der Vorhaben einsetzen. Jeannette Goddar

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