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Tradition verpflichtet

Eine „Entführung“ zu den 14. Dresdner Musikfestspielen  ■ Von Frieder Reininghaus

Vom siebten Rheinischen Musikfest, das sich in diesem Jahr originellerweise um den Schwerpunkt „Mozart“ rankte, knatterte die zweimotorige Fokker zum 14. Elbmusikfest mit dem Thema „Das Erbe Mozarts in Dresden“. Eröffnet wird in der Staatsoper. Vorm Imitat des Gottfried- Semper-Baus empfängt ein etwas außer Tritt geratener Trupp Jugendlicher — ein authentischer Spielmannszug, dessen Mitglieder die Blauhemden mit Blue-Jeans-Moden tauschten. Dresden begrüßt seine Gäste.

„Wahrhaft elend“ fand „W.A. Mozart, kapellmeister in wirklichen diensten seiner k:k:Majestät“, die sächsische Hofoper, als er im April 1789 fünf Tage in Dresden weilte. Warum — darüber rätseln Musikologen und Lokalpatrioten bis heute. „Ist es möglich?“ so möchte man freilich auch heuer mit den Worten des Meisters Amadé fragen, „was sehen meine ohren, was hören meine augen?“ Sie hören einen Belmonte, dessen Auftritts-Canzonette jenseits der Schmerzgrenze auch für hartgesottene Musiktheaterfreunde liegt, sehen eine erst allmählich zu akzeptabler Leistung auflaufende Konstanze. Sie werden von einem Pedrillo strapaziert, der sich nach bewährter Stadttheater-Manier als lebenslustiger Vogel gebärdet, und durch Günter von Kannen unterhalten, der sich als gelehriger Schüler des TV- Humoristen Karl Dall zu erkennen gibt, derben Witz und süßen Wein aus vollen Kannen sprudeln läßt. Den Text von Bretzner und Stephanie hat irgendjemand zwecks Erhöhung des heutigen Unterhaltungswertes nachgebessert. Aber auch Landesvater Biedenkopf fand das Unternehmen so wenig an- und aufregend, daß er im zweiten Akt ein ausgiebiges Nickerchen an der Gattin Schulter einlegte.

Hiroshi Wakasugis Dirigat mag grundsätzlich nicht viel bessere Resultate zulassen als jenes, das die Premiere von Mozarts Entführung aus dem Serail freisetzte: Der früher auch in Köln und Düsseldorf tätig gewesene Wakasugi ist ein Dirigent ohne Charisma, aber leider auch ohne technische Perfektion. Allzeit laufen Bühne und Orchester asynchron und selbst die Staatskapelle wirkt in sich inhomogen.

Der Regisseur wurde uns von interessierter Seite als „Geheimtip“ ans Herz gelegt. Es ist ein Nachwuchsmann aus der DDR-Provinz, der bei dem jetzt aus gutem Grund abgehalfterten Dresdner Opernchef Herz als Assistent avancierte. Der junge Mann also gewährte uns jene Art von Frohsinn, der dem virulenten Zuschauerschwund auch bei den renommiertesten Kulturinstitutionen der gewesenen DDR entgegenwirken soll. Dabei erforderte die wüste Sandstrandlandschaft, hinter der der Bühnenbildner Wolfgang Bellach des Bassa-Selim-Landhaus zunächst verborgen hielt, keineswegs eine derart übertreibende, tölpelhafte oder gestelzte Personenführung. Es ist höchste Zeit, Mozart gegen derartige spätberufene Liebhaber zu verteidigen. Wenn den Regisseuren nun partout zu einem so abgenudelten Klassiker nichts mehr einfällt und die Betriebsdirektoren es dem mittleren Geschmack doch recht und schlecht genug machen wollen, dann sollen sie vielleicht — wie das beim „Offenen Radio“ geschieht — unter treuen Kunden (z.B. aus dem „Großen Anrecht“) gelegentlich einen Amateur-Spielleiter auslosen und den ans Regiepult lassen. Die Resultate würden wohl nicht klischeehafter ausfallen.

Dresdens Kulturadministration beschwört zwei Wochen lang das „Erbe Mozarts“ (und einige durchaus interessante Hinweise auf Giacomo Meyerbeer). Das Besucherinteresse hat stark nachgelassen: Den Leuten aus der Stadt steht heute ein anderes Unterhaltungs- und Urlaubsangebot zur Verfügung als noch vor ein oder zwei Jahren; bei den Gästen von auswärts mache sich eine deutliche „DDR-Müdigkeit“ bemerkbar, erläuterte der Direktor Höntsch. „Die Dresdner Musikfestspiele“, meinte er ergänzend, „werden sich immer mit den Verpflichtungen konfrontiert sehen, die sich aus der Konfrontation mit der großen Dresdner Musiktradition ergeben.“ Dem Publikum sei man immer entgegengekommen, doch gegenwärtig mache sich „ein bestimmtes Suchen nach neuen Ufern, neuen Varianten bemerkbar — auch beim Festival“. Zu wünschen wäre dem Festival — in Verkehrung der bewährt klappernden Vokabeln — die Konfrontation mit der Verpflichtung auf jene Musiktraditionen, die in Dresden in Geschichtskontinuität gepflegt wurden. Es darf Neues kommen: wirklich Neues auf allen Ebenen, damit diese Festspiele aus der Honecker-Ära tatsächlich den Anschluß an die sich jetzt neuerlich jäh ändernde europäische Kultur finden.

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