: Papier sendet nicht
■ Die Schwierigkeiten beim Aufbau einer demokratischen Rundfunkstruktur im Nordosten
Papier sendet nicht Die Schwierigkeiten beim Aufbau einer demokratischen Rundfunkstruktur im Nordosten
Die Neustrukturierung des Rundfunks im Nordosten der Bundesrepublik ist ein Trauerspiel. Denn was da hinsichtlich NOR oder NDR-Beitritt ausgehandelt wird, ist rational nicht mehr nachvollziehbar. Schon lange geht es nicht mehr darum, eine Rundfunkanstalt aufzubauen, die in der Lage wäre, in einer historischen Umbruchphase ihren Integrationsauftrag zu erfüllen, schon lange nicht mehr um eine Anstalt, die auf ökonomisch sicheren Füßen steht.
Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, kann es jetzt nur noch um ein politisches Kompromißpaket gehen. Dafür hat auch der NDR-Intendant Jobst Plog gesorgt, als er sich, ohne Not, in den Gedanken verliebte, seine Drei- in eine Vierländeranstalt zu erweitern und dadurch dem WDR den Rang als größte und finanzkräftigste Anstalt der ARD abzulaufen. Das hat den Preis, den der Sender Freies Berlin jetzt zahlen soll, in die Höhe getrieben.
Es ist zwar allzu verständlich, wenn man in Mecklenburg-Vorpommern versucht, ein Maximum für das eigene Land herauszuholen. Die Parlamentarier übersehen, daß man das Ausspielen der Eigeninteressen auch überziehen kann. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist kein Selbstbedienungsladen, in dem man sich nach Gusto bedienen kann, auch wenn das manchmal, gerade aus der Ost-Perspektive, so aussieht. Und die Brandenburger? Es ist das Recht jedes Bundeslandes, entsprechend der föderativen Struktur über einen eigenen Rundfunk zu verfügen. Auch können die Vorbehalte gegen Berlin, die aus einer Zeit stammen, als der staatliche Rundfunk aus Ost-Berlin kam, nicht wegdiskutiert werden, man hat aber den Eindruck, als richte man sich genüßlich in ihnen ein. Glaubt man wirklich, durch ein defizitäres, eigenes Funkhaus könne man der Hegemonie Berlins Paroli bieten?
Und Berlin? Nicht nur, daß der Intendant des ohnehin in die Defensive geratenen SFB in jedes sich ihm bietende Fettnäpfchen getreten ist, jetzt stimmt auch noch der Generalsekretär der Berliner CDU das Hohelied auf einen Hauptstadtsender an. Man mag zum SFB stehen, wie man will, er ist gegenwärtig der einzige Sender des Ostens, der eine demokratische Legitimation vorweisen kann. Und zugestehen muß man auch, daß der SFB zu lange am Katzentisch gesessen hat, als daß er der Versuchung, jetzt endlich mal groß rauszukommen, hätte wiederstehen können.
Egal wie der Streit ausgehen mag, den Letzten beißen die Hunde, und das ist diesmal das Publikum. Denn eines scheint klar, außer Papieren wird momentan nichts produziert. Papier aber sendet nicht. Karl-Heinz Stamm
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