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Neuköllner LabelMit Musik aus der Migrantenfalle

Das Label Plak Music aus Neukölln hat sich auf die Zielgruppe der Deutschtürken spezialisiert. Seinen Erfolg verdankt es vor allem Muhabbet, dem Erfinder des RnBesk.

Arun hat es geschafft. Der 21-Jährige wollte seinen Star persönlich kennen lernen. Und nun: Wann immer Arun Zeit hat, sucht er ihn im Musikstudio auf und arbeitet für ihn. In manchen Wochen drei- bis viermal. Sein Idol heißt Muhabbet: Der Erfinder des RnBesk - eine Mischung aus orientalischer Popmusik und R&B - ist derzeit der angesagteste Musiker in der deutschtürkischen Migrantenszene. Aruns Aufgabe: Er surft sich durch die Myspace-Welt, pflegt Muhabbets Webauftritt, weiß, wie in Foren über den Musiker diskutiert wird, und kennt alle seine Nachahmer. "Nun ist er unser Internet-Trendscout", sagt Jochen Kühling, einer der beiden Chefs von Plak Music, Muhabbets Label. "So kann man bei uns auch Karriere machen", sagt Kühling.

Neue Musiker sichten, sie managen, promoten und damit Geld verdienen - darin unterscheidet sich Plak Music nicht von anderen Plattenlabels. Auch dass sich das Label auf eine spezielle Zielgruppe konzentriert, nämlich türkische Migranten in Deutschland, macht es nicht besonders. Kleine Labels können im krisengeschüttelten Musikgeschäft ohnehin besser überleben, wenn sie auf Nischen setzen. Und doch findet in den Räumen des Neuköllner Hinterhauslofts etwas statt, was ihre Gründer selbst nicht beabsichtigt haben: Man könnte es interkulturelle Sozialarbeit nennen. Kühling, der Label-Chef, sagt dazu "modernes Ethno-Business".

Zumindest scheint er einen Riecher für interkulturelles Personalmanagement zu haben: "Da behaupte noch mal einer, Migrantenkids zeigen keinen Ehrgeiz", sagt Kühling. Von Arun sei er von Beginn an begeistert gewesen, erzählt der 43-Jährige. Arun ist Tamile aus Sri Lanka, der erst im August 2007 eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat. Er lebt im Sozialklotz am Kottbusser Tor. "Uns gäbe es nicht mehr, wenn wir nicht den Support von Menschen wie Arun hätten", so Kühling. "Und weil wir das wissen, reden wir mit den Kids, sagen ihnen, was anders laufen muss, und kriegen dafür das Feedback, dass dieses Ernstgenommenwerden mit persönlichem Einsatz und guten Ideen und Unterstützung belohnt wird." Ob Kühling und sein Partner Ünal Yüksel sich selbst als sozialarbeiterische Gutmenschen sehen? "Kein bisschen", sagt Kühling. Sie wüssten bloß, was in diesen Kids steckt. Das zu nutzen mache Spaß. "Auch unternehmerisch."

Sefo ist ebenfalls über einen unüblichen Weg bei Plak gelandet. Der 17-Jährige wollte sich um eine Azubi-Stelle zum Bürokaufmann bewerben. Während des Bewerbungsgesprächs, wo Sefo mit seinen Eltern war, verschwand er mit Muhabbet im Studio. Eine halbe Stunde später hatte er einen Song aufgenommen. Sefo ging nicht nur mit einer Azubistelle aus der Tür, sondern auch mit einem Künstlervertrag.

Und weil eine Musikkarriere nicht nur vom musikalischen Talent und Fleiß abhängt, sondern von vielen anderen Faktoren, auf die das Label keinen Einfluss hat, gehen die Chefs auf Nummer sicher. "Drei Jahre sind schnell verloren", sagt Yüksel. Ein Jahr werde gebraucht, bis ein Album aufgenommen ist, ein weiteres, um es bekannt zu machen. Und ein drittes Jahr, um den Misserfolg zu verarbeiten - falls das Album floppt. Dies könne man einem jungen Mann eigentlich nicht zumuten, sagt Yüksel. Aber Sefo habe dann immerhin noch eine Ausbildung zum Bürokaufmann in der Tasche - falls aus seiner Musikkarriere nichts wird.

Plak-Mitbegründer Yüksel spricht aus eigener Erfahrung. Geboren ist der 38-Jährige im Wrangelkiez in Kreuzberg. Mit sechs Jahren schickten ihn seine Eltern auf ein Internat nach Istanbul. Sie wollten nach einem Jahr nachkommen. Als sie nach dem achten Jahr immer noch nicht kamen, beschloss Yüksel während eines Besuchs, in Deutschland zu bleiben. "Ich musste ein zweites Mal Deutsch lernen", erinnert er sich. Es sei nicht einfach gewesen, sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zu behaupten. "Dabei haben wir Türken mehr drauf als Sprachprobleme und Migrationsbomben im Prinzenbad", sagt Yüksel. Frühzeitig interessierte er sich für Musik. Er machte sein Hobby zum Beruf und eine Ausbildung zum Musikproduzenten.

Yüksel ist das, was manche einen Unternehmer mit Migrationshintergrund nennen. Er selbst spricht lieber von einem "Vordergrund". "Ich will mich nicht entscheiden müssen, ob ich Türke oder Deutsche bin", sagt Yüksel. "Ich bin Deutschtürke." Und wenn sich die deutschen Gesetzgeber gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft sträuben, dann könne er auf den deutschen Pass verzichten. Yüksel hat seine türkischen Papiere behalten.

In den 1990er Jahren gründete Yüksel im Hinterzimmer des Ladens seiner Eltern seine erste Fima. 1999 tat er sich mit Kühling zusammen. "Ypsilon Recordz" hieß ihr erstes Label. Auf Hiphop hatten sie sich spezialisiert und Gangsterrapper wie Killa Hakan oder Kalusha betreut. Doch während 2004 das erste Album von Kalusha herauskam, musste der Künstler wieder in den Knast. Ende 2007 wurde er nach Ghana abgeschoben. "Der ganze Ärger wurde uns zu groß", erzählt Yüksel. Auch deshalb gründeten er und Kühling 2003 Plak Music (türkisch für: Schallplatten Musik) mit Sitz in Istanbul und Berlin. Ypsilon für Hiphop, Plak für moderne türkische Musik. Der erste Künstler, den sie unter Vertrag nahmen, war Sertab - die knapp vier Wochen später für die Türkei den Eurovision Songcontest gewann.

Anfangs setzte Plak Music auf die Vermarktung von türkischen Popmusikimporten in Deutschland. Doch der Markt war dicht: Beim Vertrieb türkischer Musik konnten die beiden mit den türkischen Gemischtwarenhändlern, die fast alle auch Musik verkaufen, nicht mithalten. Zwischenzeitlich bot Plak darum so genannte Shop-In-Shop-Lösungen an. Pappständer mit CDs türkischer Künstler, die sie den Händlern fertig zum Aufstellen anboten. Es blieb ein Nebengeschäft.

Das kleine Unternehmen ist dennoch gewachsen: Acht Beschäftigte arbeiten heute in dem Neuköllner Hinterhofloft, sechs von ihnen sind nicht in Deutschland geboren. Maßgeblichen Anteil daran hat ein junger Künstler, der wie aus dem Nichts erschien. 2005 entdeckt Plak Music Muhabbet. "Er brachte unsere Musikvision auf den Punkt", sagt Kühling: "Europäische und orientalische Musik im authentischen Mix."

Muhabbets Musikkarriere begann in einem unscheinbaren Wohnblock in Köln-Böcklemünd. Bereits in frühen Kinderjahren begann er zu singen: türkischen Arabesk. Zugleich war da noch etwas anderes: die deutsche Straße, Hiphop und R&B. All das kombinierte er und nannte das Resultat RnBesk. Muhabbet singt in seiner Muttersprache - auf Deutsch.

2003 stellt er seine Lieder ins Netz. "Der unbekannteste Superstar Deutschlands" titelte Der Spiegel. Denn während seine CDs in den Musikregalen nicht zu finden waren, war er im Internet ein viel gefragter Mann: Mehr als eine Viertelmillion Mal wurden seine Lieder innerhalb weniger Monate heruntergeladen. In der türkischen Migrantenszene wurde er zum Star. Auf einer Autogrammstundentour in Offenbach wurde die Musikabteilung von Saturn in Einzelteile zerlegt, weil die Fans ausrasteten. Nachdem er auf dem Türk Günü, dem Tag der Türken, 2005 am Brandenburger Tor vor 150.000 begeisterten Menschen spielte, schlug auch Produzent Yüksel zu und nahm Muhabbet unter Vertrag.

Was es heißt, in Deutschland einen deutsch-türkischen Musiker unter Vertrag zu nehmen, bekamen die Plak-Musik-Chefs an jenem 12. November 2007 zu spüren. Mit zwei Außenministern nahm Muhabbet an jenem Vormittag ein Lied auf, mit Frank-Walter Steinmeier und Bernard Kouchner, dem Deutschen und dem Franzosen. Sie sangen das Deutschland-Lied. Kühling erinnert sich: Ein Freund habe ihn vom Flughafen in Frankfurt angerufen, der Muhabbet im Fernsehen gesehen hatte. Ein Türke, der den deutschen Außenminister dirigiert - das sei ein Novum. Da wusste Kühling: "Oh, das könnte auch nach hinten losgehen." So war es dann auch.

Denn in demselben "Tagesthemen"-Beitrag, in dem über Muhabbet, seine sieben Sänger-Kollegen und den deutschen und französischen Außenminister im Neuköllner Hinterhofstudio berichtet wurde, kam eine Fernsehjournalistin zu Wort, die Muhabbet als Islamisten diffamierte: Esther Schapira vom Hessischen Rundfunk. Sie schwor, Muhabbet drei Wochen zuvor bei der Preisverleihung für ihren Film über die Ermordung des Niederländers Theo van Goghs begegnet zu sein. Muhabbet habe gesagt, dass van Gogh Glück gehabt hätte, so schnell gestorben zu sein. Er, Muhabbet, hätte ihn in den Keller gesperrt und gefoltert. Das soll er gesagt haben? Sie behauptet es. Muhabbet und seine Manager behaupten das Gegenteil. Fest steht nur: Schapira und Muhabbet waren zur gleichen Veranstaltung eingeladen - die eine erhielt einen Preis, der andere war Laudator. Noch am Abend der "Tagesthemen"-Ausstrahlung kam die Plak-Crew zusammen. Muhabbed sagt heute, er sei fassungslos gewesen. "Natürlich war das ein Schock." Immerhin: Eine ARD-Crew kam vorbei. Der Musiker durfte dementieren. Aber der Ton war gesetzt. Muhabbets Image ramponiert.

"Manche wollen junge männliche Migranten in eine bestimmte Schublade stecken. Dafür wäre der Vorwurf perfekt gewesen", sagt Kühling. Gangsterrapper, Rütli-Jungs, halbstarke Schläger, die Rentner verprügeln, einmal Getto, immer Getto - das verbinde man mit jungen Türken in Deutschland. Und dann sei da einer, der Einblick in seine Gefühlswelt gibt, Hoffnungen hat, Unicef-Repräsentant ist, der zum "Vorbild des Jahres 2006" der SOS-Kinderdorf-Initiative gewählt wird und beim Sommerfest des Bundespräsidenten spielt - und damit auch noch Erfolg hat. "Das passt nicht in das Bild von manchen Leuten", glaubt Kühling. Er wolle keinen Groll gegen die Journalistin hegen. Aber für die Hannoversche Allgemeine etwa waren plötzlich Menschen Islamisten, die Freitags in die Moschee gehen und das Kopftuch nicht ablehnen. Und die FAZ schrieb, man können einen Integrierten nicht von einem Islamisten unterscheiden. "Integrationspolitisch war dies ein ganz schöner Rückschritt", sagt auch Yüksel.

Für Muhabbet und seine sieben Kollegen war es ein Desaster. Die Single-Auskopplung des Deutschland-Liedes wurde zum Ladenhüter. Sponsoren sprangen ab und ein für dieses Frühjahr geplantes neues Album wurde verschoben. "Wir mussten viele Gemüter beruhigen", sagt Kühling. "Aber wir haben auch die kennen gelernt, die in harten Zeiten zu uns stehen. Das war und ist das Positive."

Sefo und Muhabbet sitzen im Studio und proben. "Konzentrieren" wolle er sich, sagt Muhabbet. "Auf meine Talente". Hoffnungsvoll klingt er. Hoffnung gibt es tatsächlich: Die Berliner Philharmoniker haben ein Projekt mit Muhabbet gestartet. Der Außenminister lädt ihn nach wie vor zu Veranstaltungen ein. Und im Oktober findet in Berlin wieder die Popkomm statt. Partnerland in diesem Jahr: die Türkei. "Für uns wird das ein echtes Heimspiel", hofft Kühling. Muhabbet ergänzt: "Die Kids brauchen uns als Vorbilder - und wir alle brauchen Anerkennung, dass wir gut sind für dieses Land."

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