Die Zellteilung der Turbine organisiert das Süße Leben

■ Das Londoner Modell »A Club within a Club« im ehemaligen Pike

Die Turbine, einst nächtlicher Club-Mythos schwarzberockter und kajalgeschminkter Szene-Hips und -Schicks, ist erst unlängst in Kreuzbergs Glogauer Straße als sogenannter »Turbine Dance Club« wieder aus den Fluten einer wirren Übergangsphase aufgetaucht.

Doch nichts ist, wie es war, aber so dolle war' s ja in der Turbine Rosenheim eigentlich auch nie! Man bedenke allein, welch finstere Flüche den anerkannt arrogantesten Türsteher der Stadt begleiteten: »Tod dem Türsteher der Turbine« — ein Graffiti unweit der Rössli-Bar spricht da Bände.

Doch wie gesagt: alles Schnee von gestern! In den Achtzigern wurde der ehemaligen Drogerie in der Eisenacher Straße, Ecke Rosenheimer erst zu fortgeschrittener Stunde der Odem scheinbaren Lebens von blasphemischen Protagonisten der Nacht eingehaucht. Inzwischen hat sich der einstige Szene-Treff zum nett adretten Café gewandelt. Mit Springbrunnen, Wasser-Effekten, einer großflächigen Fensterfront und stark modifizierten Öffnungszeiten (11 bis 3 Uhr) huldigt das Lokal seit April konsequent dem Tageslicht.

Grund für den gastronomischen Gesinnungs- und Tapetenwechsel waren, wie so häufig in Berlin, Lärmbelästigungsklagen der Anwohner. Höhepunkt der jahrelangen Querelen zwischen den fünf Diskotheken- Betreibern und ihrer ruhebedürftigen Nachbarschaft war ein Gebot des Schöneberger Wirtschaftsamtes, gefäligst die Putz- und Sperrstunde zwischen 5 und 6 Uhr morgens einzuhalten. Als auch das nicht fruchtete, verbot der Vermieter den »Rosenheimer« Jungs im Februar 91 kurzerhand den extremen Nachtbetrieb. In der Umbauphase der Rosenheimer Straße flüchtete die Turbinen- Besatzung für einzelne Nachtveranstaltungen in' s Exil. In einer geräumigen Fabriketage in der Kreuzberger Ritterstraße wurden zwischen Februar und Mai einige meist szenetypisch unterkühlte Parties gefeiert.

Doch eigentlich war die Turbine schon zu Schöneberger Zeiten lange nicht mehr, was sie vielleicht nie sein sollte. Während Mitbetreiber Volker aus dem Gruftie-Schuppen stets »einen zweiten Dschungel mit Eintrittspreisen um die zehn Mark machen wollte«, gaben die anderen, weil das Geschäft Ende der achtziger Jahre rückläufig war, die rigiden Gesichts- und Klamottenkontrollen am Eingang bald auf. Kein Wunder, daß da die Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu kriseln begann. Nach Volkers zwangsläufigem Abgang verließ auch der inzwischen zum Szenepromi gewachsenen Discjockey Motte vor zweieinhalb Jahren die GbR. Heiko, Jörg und Falko aber behielten das Kneipen-Zepter auch fortan fest in den Händen. Nach dem Umbau in der Rosenheimer Straße entschloß sich die Turbinen-Troika im April diesen Jahres gar zum Kauf des hochverschuldeten Pike in der Glogauer Straße.

Während sich das Pike trotz zahlreicher Konzertveranstaltungen nie so ganz von dem Flair einer halb-verwaisten Provinz- Bahnhofswartehalle befreien konnte, soll der abgelegene Veranstaltungsort unter den neuen Fittichen nun endlich aus den roten Zahlen herausgeführt werden. Mit einem neuen Konzept, hofft Ewi, inzwischen vom Stammgast der Schöneberger Disco zum Geschäftsführer des Kreuzberger Pendants gereift, widrige Standortfaktoren ausgleichen zu können. An etlichen Wochentagen überlassen die Betreiber so ausgewählten Fremdveranstaltern ihr neue Domizil.

»A Club within a Club« definiert Julian Standon, Organisator des Turbinen Sub- Clubs »The Dogwash« das aus London exportierte, hierzulande noch weitgehend unerprobte Kneipen-Modell. Seit dem gnadenlos überfüllten Probelauf am 19. Mai, setzt »The Dogwash« nun jeden Mittwoch seinen »Kreuzzug« für Rave (»fuck word«) und New Independent Music fort, »to get Berlin dancing«, wie Julian sagt. Unterstützt wird der Londoner freelancer dabei von seinem Berliner Partner Gerd und DJ Tim, der u.a. bei »Mr. Dead und Mrs. Free« Platten verkauft. Das »Dubmission«-Team setzt da eher auf die Berliner House, Acid und Techno-Prominenz. Nachdem erst DJ Dick, der jüngst mit »Weekend« in den Berliner Indie- Charts auftauchte, die Eröffnungsveranstaltung von »The Dubmission« bestritt, ließ sich letzten Samstag gar dessen großer Bruder West Bam in die Turbine herab.

Das Konzept kling vielseitig und schlüssig. Und doch birgt es zumindest für das amüsiersüchtige und finanziell oft zartbesaitete Berliner Publikum natürlich seine Schattenseiten. Vorausgesetzt, alle Beteiligten wollen sich mit ihrem Engagement auch ein Stück vom Gewinnkuchen abschneiden, bedingt die Idee entsprechend hohe Eintritts- und Getränkepreise. Und die sind in der Turbine allemal gewiß. Während die Dubmission-Nächte mit einem Spitzenwert von respektablen 9 Mark Eintritt faktisch Ku'damm-Niveau erreicht haben, beträgt der Wegzoll zum Hundewaschtag immerhin noch 6 Mark.

Eine wohltuende Ausnahme bilden da lediglich die schon aus Rosenheimer Zeiten bekannten »Rydell High«-Parties von Milena und Sonja. Für nur 3 Mark sind ihre Rock-, Blues-, Soul- und Beat-Nächte durchaus erschwinglich, zumal auch die gängigen Getränke wie Becks, Sekt, Mineralwasser und Coke donnerstags billiger als sonst zu haben sind (3 bzw. 2 Mark). Popcorn und kleine Sweeties gibt' s gratis. An den fremdveranstalterfreien Frei- und Samstagen legen in der Glogauer, in der sich seit Pike-Zeiten optisch kaum etwas verändert hat, abwechselnd Jochen (Die Haut) und Jochen (Trash) auf. Andreas Kaiser