GEN NORDEN – GEN WESTEN: Abidjan, Babylon Westafrikas
Seit drei Jahrzehnten ziehen Tausende von Menschen aus West- und Zentralafrika nach Abidjan, der glitzernden Stadt an der Elfenbeinküste. Heute sind unter den zweieinhalb Millionen Einwohnern mehr Ausländer als geborene Ivorianer anzutreffen: Mauretanier, Burkinesen, Togolesen, Guineer und Sierra-Leoner. Sie alle haben in den 70er Jahren zum Wirtschaftsboom beigetragen, aber mittlerweile herrscht Arbeitslosigkeit, und die Stimmung gegenüber den Zuwanderern könnte leicht umschlagen. ■ VON ISABELLE MORN
„Für jemanden aus Burkina oder Mali ist Abidjan wie Paris! Überall Lichter, Hochhäuser, schön dekorierte Schaufenster... Man muß nicht mehr nach Europa gehen, um so etwas zu sehen!“ Die Ivorianer, die Bürger der Elfenbeinküste, sind stolz auf ihre Hauptstadt, und die Wahlabidjaner nicht weniger. Und noch in den letzten Winkeln von Mali, Niger oder Ghana, in den abgelegensten Dörfern haben Immigranten, die zu ihren Familien zurückgekehrt sind, vor einem staunenden Publikum ausführlich von den großen Boulevards, den „Etagenhütten“ der „glitzernden Stadt“ erzählt, aus der sie mit genug Geld zurückgekommen sind, um sich auf „parzelliertem Land“ ein Haus zu bauen oder einen kleinen Laden aufzumachen.
„In Abidjan gibt es Geld.“ Diese Gewißheit lockt seit mehr als drei Jahrzehnten Tausende von Menschen aus ganz Westafrika und sogar aus Zentralafrika in diese Metropole, die zu einem Anziehungspunkt für die ganze Region geworden ist. Während der siebziger Jahre, einem wirklich goldenen Zeitalter für die Elfenbeinküste, in dem die Preise für Kaffee und Kakao kräftig stiegen, kamen jährlich 150.000 Menschen, darunter 70 Prozent Ausländer, in den Busbahnhöfen der Hauptstadt an; manchmal nur, um das Terrain zu sondieren, ehe sie ihre Familien nachkommen ließen, manchmal als ganze Dörfer, die vor der Dürre, einem Bürgerkrieg oder nur vor einem zu harten Alltag flohen. Heute, mit der „Konjunktur“, von der auch die Hauptstadt der Elfenbeinküste nicht verschont geblieben ist, hat der Exodus ein wenig nachgelassen. Aber jedes Jahr kommen immer noch Tausende. Selbst wenn Abidjan „heruntergekommen“ ist und das Geld nicht mehr in Strömen fließt wie früher, bleibt die Stadt für die Menschen aus den Nachbarländern attraktiv. Sie ist durch diese Massenmigrationen wahrscheinlich zur einzigen Metropole der Welt geworden, in der es mehr Ausländer als geborene Ivorianer gibt.
Von einem Stadtteil zum andern durchreist man ganze Landschaften
Diese Stadt, die seit den dreißiger Jahren, als sie von den französischen Siedlern aus dem Nichts gegründet wurde, buchstäblich explodiert und heute etwa zweieinhalb Millionen Einwohner hat, hat dadurch Züge eines afrikanischen Babylon angenommen. Man braucht nur von einem Stadtteil in den anderen oder einfach eine Straße entlangzugehen, und schon hat man den Eindruck, ganze Landschaften durchreist zu haben. Mauretanier in großen, blauen und weißen Gewändern, den Boubous, hocken vor ihren Läden auf einer Matte, trinken ihren rituellen Tee und hören Radio Nouakchott. Sie sind zurückhaltend, mischen sich kaum unter die übrige Bevölkerung und kontrollieren mit etwa 3.000 Läden in ganz Abidjan einen guten Teil des Einzelhandels.
In „Klein Ouagadougou“ in der Vorstadt wohnen, wie der Name schon sagt, Tausende von Menschen aus Burkina. Und der Stadtteil Biafra in Treichville beherbergt mehrere hundert nigerianische Familien aus der Ethnie Ibo, die vor zwanzig Jahren vor einem mörderischen Bürgerkrieg geflohen waren. Aber 80 Prozent der nigerianischen Gemeinde in Abidjan sind Yoruba, vor allem Händler. Es ist ein farbenfrohes Schauspiel, wenn im Flughafen von Abidjan-Port-Bouet ein Flugzeug aus Lagos landet: Mehrere Dutzend imposanter Mamas nehmen Kartons mit Kosmetikartikeln, Stoffen und elektrischen Haushaltsgeräten entgegen, die sie auf den Märkten verkaufen werden. „Die Yoruba-Frauen importieren so viele Produkte aus Nigeria, daß wir immer den Eindruck haben, in unserem Land zu leben“, sagt Wale Adekoya, ein nigerianischer Diplomat, der in Abidjan akkreditiert ist.
Togolesen, Senegalesen und Malinesen sind auch nicht untätig. Sie wissen genau, wo sie sich Gari-Mehl verschaffen können, aus dem sie das togolesische To herstellen, oder rote Bissap-Blüten, aus denen, wie in Dakar, ein ausgezeichnetes Erfrischungsgetränk hergestellt wird. Jeder hat seine Spezialität. Malinesen stellen prächtigen Schmuck her, während Senegalesen und Burkinesen in ihren Schneiderwerkstätten miteinander rivalisieren. Angehörige vom Stamm Haussa aus Niger schneiden Bärte und rasieren fast auf der Straße. Es sind auch Haussa, die schon in der ersten Morgendämmerung an jeder Straßenecke eine wohldosierte Mischung aus Milchkonzentrat und Nescafe mit Butterbrot anbieten.
Die Senegalesinnen und Malinesinnen sind die besten Flechterinnen von Westafrika. Sie verkaufen auf den großen Märkten in Abidjan und Treichville oder gehen zu ihren Käufern in die Wohnungen. Die Nigerianerinnen importieren Bleichcremes und Mittel zum Glätten der Haare, während die Ghanesinnen, neben dem ältesten Gewerbe der Welt, bunte Wunderpillen von zweifelhafter Herkunft stückweise oder als Handvoll auf der Straße verkaufen. Die Frauen der Peuhl Bororo nehmen den ganzen Weg von Niger auf sich, um in Abidjan traditionelle afrikanische Medikamente zu verkaufen, ein ganzes Arsenal von Pulvern, Wurzeln und Tränken, die sie in riesigen Bündeln auf dem Kopf transportieren.
Der Weg für jeden Neuankömmling führt zwangsläufig zum dichtbewohnten Stadtteil Treichville. Dort leben die Chefs der ausländischen afrikanischen Gemeinden von Abidjan, die eine starke moralische Autorität über ihren Landsleuten haben. Sie regeln Streitigkeiten und sorgen für Solidarität. Jeder Neuankömmling findet daher sofort eine Schlafstelle und einen Teller Reis mit Sauce, „wie zu Hause“, während er darauf wartet, am „Business“ von einem seiner „Brüder“ beteiligt zu werden. In Treichville wie in den anderen dichtbesiedelten Vierteln von Abidjan lebt die Mehrheit der Bevölkerung in gemeinsamen Höfen, die den kosmopolitischen Charakter der Stadt wiederspiegeln. Auf wenigen Quadratmetern leben hier anglophone Liberianer und Sierra-Leoner mit Senegalesen, Guineern und einigen Ivorianern Seite an Seite. „Unser Hof ist so etwas wie die OAU, Organisation für Afrikanische Einheit, im Kleinen“, scherzt ein Mieter.
Seit einiger Zeit sieht man auch wieder Tuareg, die in mehreren Wellen nacheinander in die Hauptstadt der Elfenbeinküste gekommen sind. Der Chef dieser Gemeinde, Haidara Alkassim, ist 1972 nach der ersten großen Dürre, die die Sahelländer schwer getroffen hat, nach Abidjan gekommen. Jetzt fungiert er als Vermittler zwischen seinen „Brüdern“ und den ivorianischen Behörden, die die Art und Weise nicht schätzen, in der Frauen und Kinder der Tuareg in den großen Straßen betteln. Also fordern sie ihre Rückkehr nach Mali, Niger und Libyen, von wo sie hergekommen sind. „Aber unsere Herden sind dezimiert“, beklagt Haidara Alakassim. „Wenn einige Tuareg weggehen, kommen andere nach. Denn wo der Mensch nichts zu essen findet, kann er nicht bleiben.“
„Die Zeiten sind für alle schwierig“
Eine solche Ausweisung von Ausländern ist für die ivorianischen Behörden eine völlige Ausnahme. Sie bemühen sich, eine Integration dieser Gemeinden zu erreichen und die fremdenfeindlichen Gefühle in der Bevölkerung zu neutralisieren. So hat Staatschef Houphouet-Boigny wiederholt seinen afrikanischen „Brüdern“ für ihren Beitrag zu dem gewaltigen Wirtschaftsaufschwung der Elfenbeinküste gedankt. „Sie haben uns während der Glücksjahre geholfen“, meint ein ivorianischer Beamter. „Ich weiß nicht, warum wir ihnen jetzt Schwierigkeiten machen sollten, wo die Zeiten für alle schwierig sind.“ In der Tat macht das Land derzeit eine beispiellose Wirtschaftskrise durch, und negative Reaktionen der Ivorianer lassen sich nicht mehr ausschließen, die von der Arbeitslosigkeit schwer betroffen sind und nicht gern sehen, daß Ausländer „ihre“ Arbeitsplätze besetzen oder Tätigkeiten nachgehen, die sie selber ebensogut übernehmen könnten. Ein solcher Stimmungsumschwung wäre aber nicht nur für Hunderttausende von Immigranten in Abidjan tragisch, sondern auch für all die Familien und Dörfer, die, Tausende von Kilometern entfernt, nur durch die kleinen Geldbeträge überleben, die ihnen regelmäßig aus der Hauptstadt der Elfenbeinküste geschickt werden.
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