: Auf Ost-Ohr ist Bonn taub
Im Bundestag hören Westler den Ostlern nicht zu/ Verbales Aquaplaning/ Wenige Argumente, viel Polemik/ Westler profilieren sich an Problemen ■ Von Heinz Joachim Schöttes
Berlin/Bonn. Äußerlich sind sie kaum noch zu unterscheiden. Doch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aus Ost und West fühlen sich unterschiedlich. Viele Parlamentarier aus den neuen Ländern kommen mit dem Stil im Bundestag immer noch nicht zurecht. Das wurde bei der Haushaltsdebatte deutlich. Bei der traditionellen Generalaussprache zum Kanzleretat traten am Donnerstag von den großen Parteien nur „Wessis“ ans Rednerpult. Und die warfen — wie bei solchen Aussprachen üblich — dem politischen Gegner vor, daß seine Politik falsch sei. Zuviel Streit und zuwenig Eingehen auf die Meinung der anderen, meinen viele der 127 Ost-Abgeordneten.
Obwohl häufig Argumente parteiübergreifend seien, so Jugend- und Familienministerin Angela Merkel (CDU), „bemühen sich viele um zuviel Polemik“. Sie selbst sei „nicht bereit zu glauben, daß das der einzige Weg ist, um Politik zu machen im Sinne der Bürger, die wohl mehrheitlich der Meinung sind, daß sich die Politiker zuviel streiten“. Sie sei zwar auch dafür, daß in einer Demokratie um den richtigen Weg gerungen wird, doch solle das ein „konstruktiver Streit“ sein. Werner Schulz vom Bündnis90/Grüne war nach der Generalaussprache „erschüttert“ über die „Rechthaberei“ der großen Parteien. Die hielten an der einmal geformten Haltung fest. Die Koalitionsvertreter beharrten darauf, daß Politik gar nicht besser gemacht werden könne, als es derzeit geschehe, und die SPD-Opposition mache „alles runter“ und behaupte, die Regierung sei „völlig unfähig“. Dabei sei in der jetzigen Situation die geballte Fachkompetenz von allen gefragt, um die Probleme in den neuen Ländern zu lösen.
„Die versuchen, sich wechselseitig an den Problemen zu profilieren und vergessen darüber die Probleme selbst“, findet er. Bildungsminister Rainer Ortleb (FDP), einer der drei Ost-Minister im Kabinett von Helmut Kohl (CDU), hat zwar den Eindruck gewonnen, daß „wir inzwischen ein Deutscher Bundestag“ sind, was er im Oktober vergangenen Jahres noch nicht so empfunden habe. Er meint jedoch auch, die „Ossis“ seien eher geneigt, die polemischen „Schmuckeffekte“ in den Beiträgen zu überhören. Stephan Hilsberg, brandenburgischer Abgeordneter und ehemaliger Geschäftsführer der DDR-SPD, sagt, für viele „Ossis“ seien die Debattenbeiträge nur schwer verständlich. „Wir sind hier als Ossis zu wenig vertreten“, erklärt er. Die beiden Ost-Abgeordneten Vera Wollenberger vom Bündnis 90/Grüne und PDS-Chef Gregor Gysi, die ans Rednerpult traten, versuchten sich mehrfach vergeblich Gehör zu verschaffen. „Vielleicht können Sie jetzt mal zuhören“, forderte Vera Wollenberger die Parlamentarier auf. Auch Gysi, der immer wieder durch Zwischenrufe unterbrochen wurde, versuchte es mit einem lauten: „Hören Sie zu.“ dpa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen