Dr.Bossles Doktorfabrik läuft wie geschmiert

„Prof. h.csu“ Lothar Bossle verbreitet in Dresden Angst und Schrecken und kassiert gleich zweimal/ Doktortitel für indonesischen Geheimdienstgeneral für 65.000 DM?/ Das bayerische Justizministerium verzögert den Abschlußbericht über den umstrittenen Professor und Strauß-Günstling  ■ Aus Würzburg Doris Eckert

„Saustall“, erzürnte sich einst der SPD-Abgeordnete Heinz Kaiser öffentlich. „Augiasstall“, konnte sich selbst ein CSU-Abgeordneter, Walter Eykmann, nicht verkneifen. Die Rede ist, noch immer, von der „Doktorfabrik“ des Würzburger Professors für Soziologie, Lothar Bossle.

Zwar hatte der Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, Otto Wiesheu, dem Bayerischen Landtag für Ende Juni einen Abschlußbericht über die Vorgänge um Bossle angekündigt. Doch „vorsorglich“ ließ er inzwischen mitteilen, daß er sich eine Terminänderung „bei unvorhergesehener Entwicklung“ vorbehalten müsse. Auch ein seit 1988 anhängiges Disziplinarverfahren gegen den „Gefälligkeitsprofessor“ köchelt vor Gericht noch leise vor sich hin.

Zur Erinnerung: 1977 hatte der „Strauß-Günstling“ gegen heftige Proteste von Hochschulgremien, GEW, SPD und FDP sowie großer Teile der Studentenschaft den Lehrstuhl für Soziologie „zwangsbesetzt“. Erst nach zehn Wochen und mit Hilfe einer Hundertschaft Polizei gelang es Bossle, die mit Trillerpfeifen bewaffneten Studenten aus dem Hörsaal zu vertreiben und mit einem Dutzend handverlesener Anhänger seine erste Vorlesung zu halten.

Seither reiht sich ein Skandal nach dem anderen um „einen Professor ohne Habilitation und angeblich auch ohne Abitur“, wie der Abgeordnete Kaiser bis heute unwidersprochen formulierte. Jüngstes Beispiel: die Gastprofessur Bossles an der Technischen Universität Dresden.

Unter Fortzahlung seiner vollen Bezüge nach C4 von 7.680DM plus 1.074DM Ortszuschlag bewilligte das Ministerium dies als „Nebentätigkeit“ schon für das letzte Wintersemester. „Inakzeptabel“ und „unverschämt“ empfindet der Würzburger Soziologieprofessor Wolfgang Lipp diese ministerielle Entscheidung. Eine hochdotierte Professorentätigkeit könne man nicht nebenamtlich im Spagatsystem machen. Auch der Wissenschaftsrat empfehle zum Aufbau der Ostuniversitäten Vollzeitkräfte. „Entweder Dresden oder Würzburg“, fordert Lipp.

So brachte Bossle im Wintersemester das Kunstück fertig, seine acht Stunden Pflichtveranstaltung in Würzburg an einem Tag gebündelt, nebst Sprechstunde, abzuhaken. Seine Einführungsveranstaltung übernahm sein Asssistent, ein Jurist, der „in bezug auf das Fach Soziologie als Studienanfänger zu betrachten“ sei, beklagten sich Fachstudenten in einem Brief an die Universitätsleitung.

Den Rest der Woche verbringt Bossle in Dresden, wo er als Teilnehmer an einem 68 Gastprofessoren umfassenden Programm zum Aufbau der Ostuniversitäten von der Konrad-Adenauer-Stiftung die entsprechende Aufwandsentschädigung plus Fahrtkosten kassiert.

Zwischenzeitlich rätselt man in Dresden, wie Bossle überhaupt an die TU gekommen ist. Der eigentlich zuständige Rat des Instituts war völlig übergangen worden. „Bossle war vor uns drüben“, so ein Sprecher der Konrad-Adenauer-Stiftung. Aus Dresden sei die Anregung gekommen, Bossle in das Programm aufzunehmen. Aber von wem?

Es wird von einer Vermittlerrolle des Katholischen Studentenbundes gemunkelt, denn Bossle war lange Jahre Chef der „Katholischen Deutschen Akademikerschaft“ und trägt auch heute noch gerne die Uniform eines „Ritters vom Heiligen Grab“.

Auch flinke Wendehälse aus den eigenen Reihen werden verdächtigt. So der Oberassistent Dieter Stoll — früher SED. Und da eine Hand die andere wäscht, ist Dieter Stoll seit vergangenem Wintersemester Gastdozent am Würzburger Institut für Soziologie.

Saubermann Bossle verbreitete inzwischen nach einem Bericht der 'Zeit‘ unter seinen Kollegen an der TU Dresden Angst und Schrecken. Dort herrscht kein Zweifel, daß Bossle aus dem Hintergrund mitentscheidet, wer von den Professoren bleiben kann und wer „abgewickelt“ wird.

„Laßt euch dort sehen oder ihr seid abgemeldet“, hieß es an der TU, wenn von der Mittwochsveranstaltung Bossles die Rede war. Unter dem Titel Ideologie und Utopie wollte der Westimport hier vierzehntägig die Mitarbeiter „qualifizieren“ oder, bei unbotmäßigem Nichterscheinen, eben auch abqualifizieren. Deshalb wurde diese Veranstaltung in Dresden auch „Parteilehrjahr“ genannt, so hieß früher die Zwangsveranstaltung der SED an der TU. Und so sehr die Dresdner Professoren und Studenten — genau wie die Würzburger — fundierte Vorbildung und Vorlesungen bei Bossle vermißten, so sehr überraschte sie dessen peinlich genaue Kenntnis ihrer Personalakten.

Ach ja, Lothars „Doktorfabrik“. Schon 1988 berichtete die 'Zeit‘: „Wer anderswo verzagen müßte, kann bei Bossle seinen Doktor bauen, und am wenigsten hindert ihn daran eine rechte Gesinnung und eine dicke Brieftasche.“ Bei 24 bei Bossle seit 1978 angefertigten Doktorarbeiten kam das obligatorische Zweitgutachten nur in einem Fall von einem Soziologen. Etlichen Doktoranden fehlten die nötigen Voraussetzungen, den schmückenden Titel erhielten sie trotzdem. Titel der Dissertationen unter aanderen Stiftungskindergärten im Regierungsbezirk Unterfranken oder Die Soziologie der Möbelstühle.

Vierzehn dieser Dissertationen wurden im Würzburger Creator- Verlag gedruckt. Damaliger Mehrheitsgesellschafter des Verlags: Bossle. Diese Praxis wurde ihm zwischenzeitlich vom Ministierium untersagt.

Nicht geklärt ist bis heute der Vorwurf, daß ein indonesischer Geheimdienstgeneral namens Manullang sich angeblich im (außeruniversitären) Bossleschen „Institut für Demokratieforschung“ (IfD) eine Dissertation anfertigen ließ. ABM-Kräfte hätten die Dissertation gegen eine „Gebühr“ von 65.000 DM ins Deutsche übersetzt. Übrigens hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, auch schon als Lehrbeauftragter bei Bossle gewirkt.

Und im letzten Wintersemester fragte ein frischgebackener Münchener Jurist dreist bei der Fachschaftsinitiative Politik/Soziologie an, wie man am besten an Lothar Bossle und einen Doktortitel herankomme.

Eine Gefahr scheint vorerst gebannt: Bossles ehemaliger Assistent Dr. Kurt Schobert wird nicht zum Professor ernannt. Seiner 800 Seiten umfassenden Habilitationsschrift Magie, Mystik und Transzendenz als Phänomene indianischer Seinserfahrung hatte Bossles Kollege, Professor Wolfgang Lipp, seinen Segen verweigert. Es handle sich nicht um eine soziologische Arbeit, außerdem enthalte die Schrift faschistoide Tendenzen, so Lipp. Auch ein Zweitgutachter urteilte vernichtend. Für die Vorbereitung der Habilitationsschrift soll Bossle-Schüler Schobert ein Stipendium der Universität Würzburg erhalten haben: 14.000 DM für Unterhaltskosten und Forschungsreisen in Peru.

Auch die Auswahl der Lehrbeauftragten von Bossle stieß immer wieder auf heftige Kritik. Darunter waren beispielsweise zwei griechische Anwälte, denen in ihrem Heimatland die Professorentitel aberkannt worden waren, weil sie glühende Verfechter der früheren Militärdiktatur waren. Anderen Lehrbeauftragten werden enge Verbindungen zur Mun-Sekte nachgesagt.

Tatsache ist, daß Bossle zusammen mit einem Professor Gerhard Radnitzky aus Gutweiler ein Buch herausgegeben hat. Professor Radnitzky ist Präsident der „Professors World Peace Academy“ (PWPA), einer Vereinigung von Hochschullehrern, die laut 'Spiegel‘ auf Muns Kosten zu Tagungen nach Seoul, Manila oder Genf einläd. Titel des Gemeinschaftswerkes: Die Selbstgefährdung der Offenen Gesellschaft.

Für Schlagzeilen sorgte auch Bossles Institut für Demokratieforschung. So forschte Bossle zwischen 1980 und 1984 insgesamt viermal im ehemaligen Folterzentrum des chilenischen Geheimdienstes, der berüchtigten Colonia Dignidad, nach Demokratie.

Nach heftiger Kritik an der Verknüpfung privater Interessen und universitärer Aufgaben gab Bossle 1989 seinen Posten als wissenschaftlicher Direktor des IfD ab. Diesen Posten hat seitdem der Scharfmacher und ehemalige Innensenator von Berlin, Heinrich Lummer inne.

Teilweise begleitet bei seiner Demokratieforschung in Chile wurde Bossle von seinem Professorenkollegen Dieter Blumenwitz, wissenschaftlicher Beirat im IfD und Mitarbeiter an der Verfassung der chilenischen Militärdiktatur. Bei eben jenem Blumenwitz baute Staatssekretär Otto Wiesheu, der Vorsorgliche, einst seine Doktorarbeit. Außerdem leitete Wiesheu auch schon gemeinsam mit Bossle ein Symposion im IfD.

Wen wundert es da, daß die „Zierde für jede bayerische Universität“ — so einst Franz-Josef Strauß — schon vor Abschluß der Verfahren selbstzufrieden tönt: „Ich kann damit zufrieden sein, da ist nichts hängen geblieben.“