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Was ist schon Geld!

Teil 1: Geld ist die Grundlage und Ursache des Kapitalismus. „Die Unschuld des Geldes“ — ist es an dem? Welche Bedeutung hat das Geld für ökonomische und soziale Probleme, ist es ein „volkswirtschaftliches Neutrum“? Eine zweiteilige Serie von:  ■ RADI K. LINSKY

BERLIN

Die Unschuld des Geldes betitelt die taz ihren einführenden Artikel zu ihren Sonderseiten 'Financial taz‘ vom 18. 5. 91. Jaja, das Geld ist unschuldig. Geld hat nichts zu tun mit Ausbeutung, Krise, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung. Es hat nichts zu tun mit der Konzentration von Kapital und Macht und auch nichts mit der sogenannten Verschuldungskrise in den Ländern der „Dritten Welt“ und des ehemals „realexistierenden Sozialismus“. Und es hat auch keine Bedeutung für Investitionen in den neuen Bundesländern. „Es ist moralisch so neutral wie ein Hammer oder ein Messer“, schreibt Michael Bienert, der Autor dieses Artikels. Allein auf den Menschen kommt es an, doch der ist „charakterschwach“.

Moralkommissar Derrick läßt grüßen

Klar, der Mensch muß sich ändern, Erziehung ist gefordert, Jesus muß her! Nein? Ach ja, wir haben da ja noch unseren Alleswisser Marx. Man möge mir verzeihen, daß ich diesen Bart vergessen habe. Da war ein taz-Redakteur cleverer. Er befragte, da Karl-Heinrich schon lange unter der Erde liegt, einen seiner heutigen Jünger zur Funktion des Geldes. Und Marx-Experte Bienert gibt bereitwillig Auskunft: Geld hat keine Bedeutung für ökonomische und soziale Probleme, es ist „neutral“, ein volkswirtschaftliches Neutrum. In der Tat, hat Marx gesagt. Vor etwa 150 Jahren. Ganz im Sinne der Klassiker. Na also! Und für die Überwindung von Ausbeutung und Krise hat Marx auch gleich ein Rezept parat: Verstaatlichung der Produktionsmittel, zentral gelenkte Planwirtschaft und allgemeinen Arbeitszwang, nachzulesen im Kommunistischen Manifest.

Geld als „Riegel“ des Güteraustausches

Wenn Bienert seinen Marx aufmerksam gelesen hätte, dann wäre ihm vielleicht auch folgende Bemerkung im Kapital, Bd. 1, S. 127, aufgefallen: „Keiner kann kaufen, ohne daß ein anderer kauft. Aber keiner braucht unmittelbar zu kaufen, wenn er selbst verkauft hat.“

Was heißt das? In der Geldwirtschaft kann der Besitzer von Produkten nur dann (andere) Produkte kaufen, wenn er seine eigenen verkauft hat und im Besitz von Geld ist. Hat jedoch der Produzent für sein Produkt Geld erhalten, dann muß er dieses Geld nicht wieder für den Kauf anderer Produkte ausgeben. Hortet er sein Geld, dann können jedoch andere Produzenten ihre Produkte nicht absetzen. Es kommt zu einer Absatzstockung, und das kann zur Konjunkturkrise mit Arbeitslosigkeit führen.

Marx bestätigt hier also genau das, was seinerzeit bereits sein Intimfeind, der Anarchist Pierre Joseph Proudhon, behauptet hat: Das Geld ist nicht nur ein „Schlüssel“ zum Markt, sondern auch ein „Riegel“, der sich zwischen den Güteraustausch der Produzenten schiebt. Mit dieser Erkenntnis ist Marx haarscharf an Proudhons Einsichten über die Funktion des Geld herangekommen (siehe dazu Dieter Suhr, Kapitalismus als monetäres Syndrom — Aufklärung eines Widerspruchs in der Marxschen Politischen Ökonomie, Frankfurt a. M./New York 1988, S. 35).

Menschliche Produkte verursachen Lagerhaltungskosten

Können auch die von Menschen erzeugten Produkte als Riegel der Zirkulation fungieren? Mitnichten! Jeder Produzent produziert, um zu verkaufen. Und verkauft er nicht, sagt Silvio Gesell, ein anderer Anarcho, dann verrotten seine Äpfel, wird sein Korn von Mäusen gefressen, werden moderne Hüte unmodern, verursachen die Konserven Lagerungs- und die Häuser Instandhaltungskosten, verrosten seine ungenutzten Maschinen usw. Und versucht ein Monopolist, durch Zurückhalten seiner Produkte diese zu verteuern, dann kommt — eine wirklich freie Marktwirtschaft vorausgesetzt — schnell ein Konkurrent, um die gleichen Produkte herzustellen und zu verkaufen. Das Monopol wird durchbrochen. Lediglich das Naturprodukt Boden und seine Schätze verursachen keine Kosten, wenn sie der Wirtschaft entzogen und „gelagert“ werden.

Das Geld einer Festwährung verursacht keine „Lagerhaltungskosten“

Alle von Menschenhand produzierten Güter unterliegen „Durchhaltekosten“, sagt John Maynard Keynes, ein berühmter „bürgerlicher“ Ökonom, und sie können beliebig produziert werden. Geld kann jedoch — wenn seine Kaufkraft stabil bleiben soll — nicht beliebig vermehrt werden, und das Geld einer Festwährung unterliegt diesen Durchhaltekosten nicht. Es kann, sagen Gesell und Keynes übereinstimmend, ohne nennenswerte Kosten „gehortet“ werden, und es wird gerne von jenen gehortet, die so viel Geld haben, daß sie nicht alles für ihren täglichen Lebensunterhalt ausgeben müssen, zum Beispiel, sagt Keynes, aus spekulativen Gründen. Diese von Gesell hervorgehobene „Hortbarkeit“ des Geldes ist ein wesentlicher Unterschied zu den von Menschenhand produzierten Gütern.

Geld besitzt einen Liquiditätsvorteil

Außerdem kann der Besitzer von Geld, anders als der Besitzer von Hosenknöpfen und Drehbänken, mit Geld überall und zu jeder Zeit alles kaufen, was ihm Gewinn verspricht: Produkte, Dienstleistungen, Devisen, Aktien, Boden usw. Geld ist, wie Keynes sagt, hochgradig „liquide“. Das ist nicht nur ein wichtiger Unterschied des Geldes zu allen anderen Gütern einschließlich Boden, sondern auch ein entscheidender Vorteil des Geldes vor allen anderen Wirtschaftsgütern.

Geld hat eine Doppelfunktion

Schließlich unterscheidet sich das Geld von den übrigen Gütern durch seine von Proudhon hervorgehobene und in Keynes' Konjunktur- und Beschäftigungstheorie ausführlich behandelte Doppelfunktion als Zirkulations- und Sparmittel. Während die menschlichen Produkte als nur bedingt hortbare Waren und Ge- und Verbrauchsgüter im Sinne ihres ursprünglichen Gebrauchswertes als Werkzeug, Kleidung, Nahrung etc. fungieren, fungiert das Geld einerseits als Kauf- und Tauschmittel und hält dadurch den Warenabsatz in Schwung; andererseits fungiert es als Wertaufbewahrungsmittel und bremst dadurch den Austausch der Produkte. Das Geld unterscheidet sich also nicht nur durch besondere Eigenschaften von anderen Gütern und Waren, es hat außerdem zwei Funktionen, die in totalem Widerspruch zueinander stehen.

Das Geld ist also kein wirkliches „Äquivalent“ aller übrigen Waren, wie Marx an anderer Stelle behauptet, und durch seine Doppelfunktion als Tausch- und Sparmittel ist es ein Störfaktor in der Zirkulation. Dadurch gibt es seinem Besitzer — wie bereits Proudhon festgestellt und später Gesell bestätigt hat — ein fatales Machtmittel in die Hand. Folglich ist Geld auch nicht wert- und marktneutral, wie Bienert und Genossen Ende des 20. Jahrhunderts immer noch glauben.

Zins — der Preis für die Vormachtstellung und den Liquiditätsvorteil des Geldes

Diese Sonder- und Vormachtstellung des Geldes ermöglicht es seinen Besitzern, nicht nur Konjunkturkrisen mit Arbeitslosigkeit und Pleiten zu erzeugen, sondern auch, einen Sondergewinn auf dem Markt zu erzielen: den Zins. Er ist der „Bonus“ (Keynes), der sich aus der Vormachtstellung des Geldes vor allen übrigen Waren und vor den (vermehrbaren) Produktionsmitteln ergibt (lediglich der unvermehrbare Boden nimmt ebenfalls, wenn auch aus anderen Gründen, eine privilegierte Stellung in der Wirtschaft ein). Diesen Bonus erhält der Besitzer von „Geldschätzen“ (Engels), wenn er diese den Produzenten und Konsumenten als Kredit zur Verfügung stellt. Dabei ist es, wie Engels im Anti-Dühring (S. 282ff) richtig bemerkt, völlig egal, ob die Produzenten in selbstverwalteten Wirtschaftskommunen arbeiten oder nicht; auch die Kommunarden müssen den Mehrwertanteil Zins an den Geldgeber abführen, solange unser zinserpressendes Geld existiert.

Nach Keynes resultiert der Zins im wesentlichen aus dem Liquiditätsvorteil des Geldes. Der Besitzer von „Liquidität“ verzichtet nur dann auf den Liquiditätsvorteil seines Geldschatzes, wenn die Kreditbedürftigen bereit sind, eine „Liquiditätsverzichtsprämie“ zu zahlen, eben den Zins.

Diese Liquiditätsprämie zahlt der Kreditnehmer für die Dauer der Kreditgewährung. Er zahlt diese Prämie also auch dann noch, wenn er dieses Geld längst für den Kauf von Investitions- oder Konsumgütern ausgegeben hat, wenn sich also der Liquiditätsvorteil längst in den Händen der Verkäufer und ihrer Geschäftspartner befindet — eine Absurdität unseres Kreditsystems.

Zins — ein Tribut an Parasiten

Da die Liquidität des Geldes kein Produkt der Arbeitsleistung des Geldbesitzers ist, ist der eigentliche, ursprüngliche Zins, der „Urzins“, wie ihn Gesell nennt, ein arbeitsfreies Einkommen für den Kreditgeber, den, da er nicht vom Himmel fällt, andere für ihn erarbeiten müssen. Lediglich die Kreditverwaltungskosten der Banken und Sparkassen und die Risikoprämie sind nach dem Leistungs- und Arbeitswertprinzip zu rechtfertigen; sie betragen höchstens zwei Prozent der Kreditsumme im Jahr. Die Kreditzinsen liegen jedoch etwa zwischen acht und 14 Prozent. Davon die Bankkosten und den Inflationsausgleich von etwa drei Prozent abgezogen, ergibt einen Realzins von drei bis neun Prozent für den Finanzkapitalisten.

Da — unter den Bedingungen einer Festwährung — nichts den privaten Geldbesitzer zwingt, das in seiner Hand befindliche öffentliche Zirkulationsmittel der Volkswirtschaft zur Verfügung zu stellen, erhalten die Kreditbedürftigen angehäuftes Geld nur dann, wenn sie diesen Tribut zahlen: mindestens drei Prozent Zinsen. Treiben die Durchhaltekosten einer schleichenden Inflation das Geld in die Wirtschaft, dann ist die Zinshöhe immer noch von der Kreditnachfrage abhängig. Da Staat und Gemeinden sich extrem hoch verschulden, ist auch der Zinssatz trotz eines inflationistischen Angebotsdrucks hoch. Und da die von den Marxisten ruinierte Volkswirtschaft der ehemaligen DDR diese hohen Zinsen nicht zahlen kann, wird dort auch wenig Geld investiert. Die ungeklärten Bodenrechtsverhältnisse sind also nicht der einzige Grund für mangelnde Investitionsbereitschaft.

Der Geldzins kapitalisiert die Produkte und Produktionsmittel

Der Bonus Zins, den der „Schatzbildner“ (Engels) für seine „gehortete“ (Gesell) „Liquidität“ (Keynes) auf dem Kreditmarkt erhält, führt zur Kapitalisierung der Waren und Produktionsmittel. Denn alle Produzenten, ob private oder sich selbstverwaltende, die Investieren wollen, sind auf Kredite angewiesen, insbesondere wenn sie jung sind und noch keine nennenswerten Ersparnisse ansammeln konnten. Es lohnt sich für diese Unternehmer jedoch nur dann zu investieren, wenn ihre Investitionen einen Gewinn abwerfen, der alle Kosten deckt, neben den Arbeiterlöhnen und dem Unternehmerlohn auch die Zinsverpflichtungen. Daher wird in der gesamten Volkswirtschaft nur so viel investiert, daß die Produktionsmittel und ihre Produkte auf dem Markt so knapp bleiben, daß dieser Gewinn durch entsprechend hohe Preise gesichert ist. Diesen „Profit“ (Marx) nennen wir heute Kapitalzins oder Rendite.

Der Geldzins erzwingt also den Kapitalzins — alles muß rentabel sein, Wirtschaftlichkeit reicht nicht!—, der Kapitalzins ist quasi das „Äquivalent“ des Geldzinses. Der Kapitalzins wiederum definiert die Waren und Produktionsmittel als Kapital und dieses auf Rentabilität ausgerichtete Wirtschaftssystem als Kapitalismus — nicht der Markt!

Da der Geldzins — anders als die Klassiker einschließlich Marx glaubten, und hierin liegt ihr gravierender Irrtum! — eben nicht auf Null fallen kann, wird auch der Kapitalzins so lange fortbestehen, wie der Geldzins positiv ist. Der Kapitalcharakter dieser Güter kann also nur dann verschwinden, wenn der Zinsanteil, der den Finanzkapitalisten als arbeitsfreies Einkommen zufließt, der Urzins des Geldes, verschwindet. Dann würde, langfristig, tatsächlich der „Kapitalrentner eines sanften Todes sterben“, wie Keynes schreibt und wie es bereits Proudhon prophezeit hatte. Lediglich die Rente des unvermehrbaren Naturprodukts Boden, dieses Relikt des Feudalismus, würde fortbestehen. Doch Gesell, Adolf Damaschke und Henry George haben aufgezeigt, wie auch sie umverteilt werden könnte.

Alles Blabla?

Für Michael Bienert ist das natürlich alles Blabla. Geld ist ein psychologisches Problem, kein ökonomisches, kein politisches. Ein politökonomisches Problem, sagt Marx, sind allein die Produktionsverhältnisse, und an Marx glaubt Bienert. Daher hat für ihn der Geldzins auch keine Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft. Den Zins — da sind sich die Marxisten mit den Klassikern und Neoklassikern einig — können wir vergessen.

Können wir? Wir werden sehen, in der Fortsetzung dieses Artikels.

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