KOMMENTARE: Exempel ohne Folgen
■ Die Abwicklung der Ost-Unis war rechtswidrig, doch die Fristen sind verstrichen
Die Berliner Humboldt-Universität hat nicht irgendeinen juristischen Streit gewonnen — sie hat ein Exempel der Rechtsstaatlichkeit statuiert. Vertreten durch den brillanten Reiner Geulen klagte sie erfolgreich gegen die westdeutsche Eroberungs- und Abwicklungsmentalität. Im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht entschied das Berliner Oberverwaltungsgericht, das Instrument der Abwicklung dürfe nur dann eingesetzt werden, wenn eine Institution der ehemaligen DDR wirklich überflüssig ist und abgeschafft werden soll. „Abwicklung“ darf nicht als pures Gewaltmittel der „Neuordnung“ eingesetzt werden, als Brechstange mit dem Ziel, möglichst schnell und unkompliziert Tabula rasa zu machen. Tatsächlich hatte die Kultusministerkonferenz schon am 26. Oktober — und zwar im Tonfall eines mafiosen Räuberhaufens — in einem internen Strategiepapier festgelegt, die „einmalige Chance“ zu ergreifen, die der „Einigungsvertrag mit der Abwicklung von Einrichtungen eröffnet“. Die Kultusminister zielten dabei nicht konkret auf einzelne „ideologiebelastete Fachbereiche“. Vielmehr ging es ihnen ausschließlich „um eine nennenswerte quantitative Reduzierung“ und darum, den für spätere „strukturelle Entscheidungen notwendigen Spielraum herzustellen“ — so der O-Ton unserer obersten, damals noch rein westlichen Kulturwalter. (Die taz veröffentlichte dieses Dokument seinerzeit. Aber niemand interessierte sich damals im Taumel der Einigung dafür.)
Die Entscheidung des Berliner Oberverwaltungsgerichts schützt die schon in die „Warteschleife“ gejagten Angestellten der Universität. Sie verteidigt die Autonomie einer Universität gegen staatliche Willkür. Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Insgesamt nämlich ist die Strategie der Abwickler aufgegangen. Sie haben den Rechtsbruch bewußt kalkuliert. Sie setzten mit Erfolg darauf, daß praktisch niemand in der ehemaligen DDR seine neuen Rechte wahrnehmen und vor das Verwaltungsgericht ziehen würde. Im „Beitrittsgebiet“ fehlten Anwälte und Gerichte, fehlten der Mut, der Rechts- und Bürgersinn, um gegen den Staat zu klagen. Insofern setzten die westdeutschen Ministerialbürokraten bewußt auf die psychosozialen Langzeitwirkungen der Diktatur. Schlimmer noch: Sie stabilisierten das tiefsitzende Syndrom von der prinzipiellen Willkür des Staates. Sie verhinderten die reale Erfahrung von Demokratie — im Interesse technokratischer Beschleunigung. Dieses Urteil wird nicht Schule machen. Die Fristen sind abgelaufen. Die Verwalter der Wiedervereinigung haben gewonnen. Götz Aly
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