: Der gute Wille zum doppelten Spiel
■ Mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen zu Gast bei der DEFA in Potsdam Babelsberg
Das ZDF will der DEFA helfen, moralisch und symbolisch, wie ein Programmdirektor betont. Also dreht man in Potsdam-Babelsberg, was das Land bewegt: Eine Punkerin aus dem Prenzlauer Berg erbt eine Fabrik und saniert sie mit Hilfe eines smarten Westmanagers. Oder: Eine Ost- und eine Westfamilie streiten sich um ein Haus auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, und schließlich: Ost- und Westmann im Kampf um ein und dasselbe gesamtdeutsche Frauenherz. Die Realisten West und die Arbeiter Ost beobachtete bei ihrem braven Vereinigungswerk
Katrin-Bettina Müller.
Das hier sei der Baum, so erklärt ZDF-Redakteur Peter Göbbels am Potsdamer Drehort des Fernsehspiels Unser Haus, den der westdeutsche Vater Kurt Wrede unbedingt seinem Sohn zeigen will, weil er schon als Kind darin gesessen habe, um über den See zu schauen. So inszeniert man Heimatgefühle für die Kamera. Gleich darunter liegen die Kanus, mit denen die ostdeutsche Mutter Karla Gleinich ihre Mädels trainiert — und die nun, erste Folgen des Kapitalismus, im eigenen Garten auf dem Grundstück am See gelagert werden, um Liegeplatzgebühren zu sparen. »ZDF-Fototermin« nennt sich diese neue Art von Performance, die der Redakteur als Entertainer der Journalisten bestreiten muß. Die ost- und westdeutschen Darsteller der Familien Wrede und Gleinich bauen sich derweil zum Gruppenfoto vor dem Haus auf, um dessen Besitz sie in dem Fernsehfilm Unser Haus streiten. Die arbeitswütigen Fotografen, die auf mehr Aktion gehofft hatten, versuchen sich trotzdem gut zu benehmen und die Kollegen nicht vom schmalen Rasenstreifen aus in die Gemüsebeete zu schubsen.
Redakteur Göbbels und die Schauspieler mußten als Lückenbüßer herhalten. Die eigentlichen Helden der Arbeit, das DEFA-Filmteam, das vom ZDF zur »Unterstützung der DEFA in einer Durststrecke« engagiert worden war, hatte am Tag vorher sein Drehpensum wegen der Androhung von Unwettern schon erledigt. Ob ihnen mehr vor den Schauern oder den anrückenden Journalisten graute, die nichts so sehr interessierte, wie die Stimmung im deutschdeutschen Team, wer weiß?
Der Ablichtung der zur Staffage verdonnerten Schauspieler am Originaldrehort ging als ernster Teil der Veranstaltung ein »Pressegespräch« voraus. Gert Golde, Geschäftsführer der DEFA, Dr. Peter Schiwy, der im Auftrag der Treuhand ein Unternehmens- und Nutzungskonzept für die DEFA erarbeitet, und Heinz Ungureit, Direktor für europäische Programmbeteiligungen beim ZDF, betonten den moralischen und symbolischen Stellenwert der jetzigen Zusammenarbeit, die als wirtschaftlicher Faktor noch keine entscheidenden Dimensionen erlangen kann. Neben dem Film Unser Haus werden sechs weitere Projekte anvisiert, möglichst noch in diesem Jahr zu produzieren, an deren Verträgen aber noch gearbeitet wird. Schon deshalb wollten die »wichtigen Herren« den Umfang der Unterstützungsleistung durch das ZDF nicht in Zahlen beziffern, trotz hartnäckiger Fragen der Journalisten. Konkret kann dies auch heißen, daß das Engagement von DEFA-Leuten von dem Goodwill und der Kalkulation der westdeutschen Produzenten abhängt, die das ZDF mit der Ausführung beauftragt. Nicht zuletzt wird die Attraktivität der DEFA in ihren noch niedrigen Tarifen liegen.
Der Produzent Ottokar Runze, der sonst meist mit einem festen Stab arbeitet, betonte, für die Realisierung des Films Unser Haus ein Team mit 80 Prozent DEFA-Beteiligung engagiert zu haben. DEFA-Geschäftsführer Golde bestätigte, daß dadurch die zeitweise Beschäftigung von 90 schon entlassenen ehemaligen Mitarbeitern möglich wurde. Von den 2.270 Mitarbeitern, die noch Mitte 1990 bei der DEFA einen Vertrag hatten, ist die Belegschaft schon auf 976 geschrumpft.
Erst für den Herbst dieses Jahres rechnet Peter Schiwy damit, Ergebnisse einer Bestandsaufnahme über den technischen Standard und notwendige Sanierungen der DEFA vorlegen zu können. Den Schwerpunkt der DEFA-Zukunft sieht er aber schon jetzt in der Entwicklung zu einem Dienstleistungs- und Serviceunternehmen für Fernsehproduktionen; in diese Richtung weist auch schon die jetzige Zusammenarbeit. Mögliche Zusammenschlüsse von ehemaligen DEFA-Künstlern zu eigenen Produktionsgemeinschaften werden von ihm und Heinz Ungureit nicht anders bewertet als andere freie Produktionen auf dem konkurrierenden Markt, ohne besondere Rechte als DEFA-Erben.
Der Stoff zu Unser Haus wurde dem Redakteur Göbbels von dem Westberliner Autor Detlef Müller angeboten und erschien den ZDFlern ideal, das Thema der Vereinigung gleich in praktischer Kooperation anzugehen. West und Ost auf dem Bildschirm und hinter der Kamera versprechen eine werbewirksame Vermarktung. Der Streit einer west- und einer ostdeutschen Familie um den Besitz eines Hauses reicht bis in die leidensreiche Vergangenheit unter dem Nationalsozialismus zurück; mag diese Story noch dazu taugen, die emotionalen Konflikte und unvereinbaren historischen Perspektiven der in zwei deutschen Staaten Aufgewachsenen nachzuvollziehen, so lassen die anderen Inhaltsangaben aus der Pressemappe des ZDF über ihre Projekte zur Stützung der Studios in Babelsberg doch eine gewaltsame und inflationäre Konstruktion deutsch-deutscher Stoffe ahnen. Besitzprobleme lassen auch in drei weiteren Produktionen die Emotionen zur Vereinigung Wellen schlagen: Wie Inge Meysel alle Register des Menschlichen ziehen wird, um den Streit um ein Haus mit Hilfe eines Taxifahrers zu lösen, ist schon schaurig vorstellbar.
Anders als rührend kann auch die sogenannte neudeutsche Komödie Struppi und Wolf nicht werden: Karlheinz Freynick und Wolfgang Tumler erfanden die Geschichte der Prenzlauer Punkerin Struppi, die sich plötzlich als Erbin einer Farbenfabrik sieht, die sie nun mit Hilfe des Westmanagers Dr. Wolf sanieren muß.
Um Anspruch auf eine Ehefrau geht es gar zwischen Ostmann und Westmann in der Komödie Tandem. Bei so viel bemühtem guten Willen zur lustvollen Verarbeitung der deutschen Vereinigung wünscht man sich fast, das ZDF würde dem Beispiel alter DEFA-Schulung nacheifern und seine Redakteure auf Erfahrungssuche in die reale Arbeitswelt schicken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen