: START-Probleme für Moskauer Gipfel
George Bush hat an einem baldigen Gipfeltreffen sehr viel weniger Interesse als Michail Gorbatschow ■ Aus Genf Andreas Zumach
„Über 100 Probleme“, darunter „zwei bis drei grundsätzliche“, türmen sich nach den Worten von Marlin Fitzwater, Sprecher des Weißen Hauses, plötzlich auf und blockieren nicht nur die Unterzeichnung des START-Vertrages über die 25- 30prozentige Reduzierung der strategischen Waffen der USA und der UdSSR, sondern auch das Gipfeltreffen zwischen den Präsidenten Bush und Gorbatschow in Moskau. Was einst für Februar geplant war, dann auf „spätestens Ende Juni“ verschoben wurde, soll nun, so die offizielle Verlautbarung, nicht vor Ende Juli stattfinden. Inoffiziell wird von einem Termin frühestens im September/Oktober 1991 gesprochen.
Die Gründe für die erneute Verschiebung liegen dabei weniger an der Kompliziertheit von Abrüstungsverhandlungen, sondern sind vielmehr innenpolitische, die nur zum Teil mit dem Thema Rüstungskontrolle zu tun haben. Denn Interesse an einem baldigen Gipfeltreffen hat vor allem Gorbatschow, nicht aber Bush. Der sowjetische Präsident ist inzwischen offen als Bittsteller an den Westen herangetreten — eine Rolle, die er noch beim letzten Gipfel im September letzten Jahres in Helsinki entschieden abgelehnt hatte, als er von „Hilfe“ für die UdSSR nichts wissen wollte und stattdessen „Kooperation“ forderte. Seitdem — so analysiert man in Washington — ist die innenpolitische Stellung Gorbatschows erheblich geschwächt worden. In der Bush-Administration gewinnen die Kräfte an Einfluß, die für direkte Beziehungen mit sowjetischen Republiken und stärkere Kontakte mit oppositionellen Politikern wie Jelzin plädieren. Unübersehbar ist die Tendenz, Moskau ökonomische Unterstützung nur gegen innen- und wirtschaftspolitische Reformen und mehr Nachgiebigkeit bei den START-Verhandlungen zu gewähren.
Die von Fitzwater genannten drei wesentlichen Differenzen sind hier nämlich keineswegs „technischer“, sondern politischer Natur. Sie betreffen die Verifikation von Produktionsstätten für strategische Waffen, indem man der anderen Seite Inspektionen vor Ort erlaubt; die Entschlüsselung kodierter Test- und Flugdaten; sowie eine Zählmethode für atomare Sprengköpfe auf ballistischen Interkontinentalraketen. Auf beiden Seiten sind längst Lösungsmodelle entwickelt worden. Ihre Anwendung würde allerdings weitgehenden Einblick in bislang sorgsam gehütete militärische Geheimnisse der Gegenseite gewähren. Dem widersetzen sich noch die Militärs — in Moskau wie in Washington. In der Frage der Ratifizierung eines START-Vertrages steht für Bush allerdings mehr auf dem Spiel als für Gorbatschow, denn im US-Senat ist mit mehr Skepsis und Mißtrauen zu rechnen als im sowjetischen Parlament. Die anderen „100 ungelösten Probleme“, die noch durch Klammern im 450seitigen Vertragsentwurf markiert sind, sind nach Aussagen von Unterhändlern beider Seiten marginal und schnell zu klären. Wie schnell, entscheidet nicht zuletzt der Wahlkampf-Fahrplan in den USA: Das ideale Szenario für George Bush wäre ein Gipfel um die Jahreswende kurz vor Beginn des offiziellen Präsidentschaftswahlkampfes — mit der Unterzeichnung eines START-Vertrages, dem dann auch die härtesten Rüstungskontrollgegner im Senat nichts mehr anhaben können.
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