Politiker brauchen Liebe und Wärme

Ein Jahr Bunte Republik Neustadt/ Stadtteilfest vom 21. bis 23.Juni/ Inoffizielles Sambatreffen/ Der Pöbel geht auf die Straße/ „Eier sind zum Essen da“, heißt es im Dekret Nummer 8/ Schildzeitung: Au Weia, wo soll das alles enden?  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Dicke Luft im Infoladen „Schlagloch“. Die provisorische Regierung der Bunten Republik Neustadt sitzt über dem Festprogramm. Umzug mit Kundgebung ist nicht das Thema, dem Monarchen Gregor werde schon eine Rede einfallen. Auch eine Fotoausstellung „Meine Heimat BRN“ steht. Wolfhard, Minister für ambulanten Scherendienst und seilfreies Klettern teilt Straßen auf HändlerInnen auf.

Den Trödel an die Kreuzung; um die Verkaufs-Demo sächsischer Firmen entlang der Alaunstraße kümmert sich das Neue Forum. Aber vor der Kaufhalle Platz lassen, dort möchte die Grüne Liga gerne einen Berg schicker Verpackungen entfalten. Wahl-Essen im Nordbad, Kinderfest in „Planwirtschaft“ und „Louise“, Puppentheater im „Tivoli“, in allen Cafés ist etwas los; Viodeos im „Schlagloch“, Party mit AusländerInnen-Forum in der Scheune, Schachturnier im „Club für Dich“, Wim-Wenders-Fest im Projekttheater, Musik in allen Straßen, Wehrkraftzerfetzung vor der Luther-Kirche. Frank, Minister für Pfuinanzen berichtet von einer Spende der Landesregierung. N.N., Wirklicher und Geheimer Rat schweigt.

Vor einem Jahr proklamiert, versteht sich die Bunte Republik Neustadt noch immer als ein „konstruktiver Protest“ gegen Mietwucher, Spekulation und Zerstörung der Alltagskultur, als praktische Aktion für die Bewahrung der gewachsenen Kultur des Stadtteils, der als größtes Gründerzeitensemble Europas von den verflossenen Stadtvätern dem Verfall preisgegeben worden war und den nun eine illustre Schar Geschäftsleute und einige neue Herren im Dresdner Rathaus zu gern als Goldgrube erschließen möchten. „Gegen die Vertreibung ihrer Bürger“ werde sich die provisorische Regierung der Bunten Republik Neustadt immer „zur Wehr setzen“. Was sich hinter der „gewachsenen Kultur unseres Stadteils“ verbirgt, will vom 21. bis 23. Juni ein Fest feiern: Die Cafés, die Initiativen, Galerien, Läden, das Projekttheater, die BürgerInneninitiative Äußere Neustadt. Sogar ein „Inoffizielles Sambatreffen“ soll sich zur Sommersonnenwende durch die Bunte Republik trommeln.

Und weil den Neustädtern nichts ferner liegt, als ihre Nachbarn und deren Kultur auszugrenzen, sind zu Sambatreffen und Gyrosessen, Stadtteilspaziergang und Tauschmarkt, Pan-Theater Hamburg und peruanischer Folklore alle friedlichen BürgerInnnen eingeladen mitzutun und mitzufeiern. In der 'SAX‘, dem Dresdner Stadtmagazin, ist das Programm der drei bunten Tage veröffentlicht, und zum Fest wird die regierungsnahe 'Schild-Zeitung‘ weitere Infos nachreichen.

Ob der nicht autorisierte Stoßseufzer aus dem Dresdner Rathaus „Au Weia, wo soll das alles enden“ zur Schlagzeile gerät, ist noch unklar. Mit Rathaus-Zitaten sind die Bunten vorsichtig geworden. Kürzlich drang erst aus dem Plenarsaal der Satz eines CDU-Abgeordneten: „Das wäre die Kapitulation der Verwaltung vor dem Pöbel.“ Der Volksvertreter meinte die Satzung der Sanierungskommission Äußere Neustadt. Dort arbeiten das Stadtteilbüro, Kulturstadt e.V., das Stadterneuerungsamt, die Kirchengemeinde, Gewerbetreibende, HausbesetzerInnen an einer behutsamen, dem Millieu der Äußeren Neustadt angemessenen Sanierungskonzeption. Diese Kommission hatte nun im Stadtparlament beantragt, als ein beratendes Gremium an allen die Neustadt betreffenden Entscheidungen beteiligt zu werden.

Darauf das oben erwähnte Zitat und eine knappe Mehrheit für die Gegner solcherart „Kapitulation“, gefolgt von einem Dementi: Von „Pöbel“ habe er nie gesprochen, versicherte der selbstbewußte Abgeordnete. Da hatte Monarch Gregor den Schimpf schon zum Ehrennamen erhoben. „Eier sind zum Essen da“, heißt es im Dekret Nummer 8 der BRN, und „Politiker brauchen viel Aufmerksamkeit, Liebe, Wärme und Zuwendung.“