: Yuppies auf dem Weg in Rams Paradies
■ Die Hindu-Fundamentalisten sind in Indien auf dem Vormarsch. Bei den heute zu Ende gehenden Parlamentswahlen wird die Fundamentalistenpartei BJP ihren EInfluß entscheidend ausweiten...
Am heutigen dritten Tag der indischen Unterhauswahlen werden sich für indische Verhältnisse wohl nur wenige Stimmberechtigte an die Urnen begeben. Gewaltsame Auseinandersetzungen im Wahlkampf, die brütende Hitze im Norden und die heftigen Monsunstürme im Süden sind Gründe für die voraussichtlich geringe Beteiligung. Schon am Mittwoch, dem zweiten Wahltag, waren viele InderInnen den Wahllokalen ferngeblieben. Sollte dieser Trend anhalten, dürfte die Kongreßpartei kaum vom erhofften Sympathiebonus nach dem Tode von Rajiv Gandhi profitieren. Statt dessen könnte die rechts-hinduistische Bharatya Janata Partei (BJP) einen hohen Stimmenanteil erzielen, denn sie ist die am straffsten organisierte Partei.
Neu ist die BJP nicht auf der politischen Szene. Sie, beziehungsweise ihre Vorläufer-Parteien, hat in einzelnen Staaten schon länger mitgemischt. Augenblicklich stellt die BJP die Landesregierungen in Rajasthan und Madhya Pradesh. Die Wahlpropaganda der Partei zieht ihre Wirkung aus antimuslimischen, chauvinistischen Slogans. Ihr Führer, Lal Krishna Advani, ist verhältnismäßig moderat in seinen Reden. Doch seine Anhänger sind es nicht. Ihr politisches Ziel: die Errichtung des „Ram Rajya“ (Königreich Rams) auf Erden, also des Paradieses der hinduistischen Mythologie. Der Weg dahin: Schluß mit dem Prinzip des säkularen Staates, weg mit dem Schutz von religiösen Minderheiten. Die Moslems befürchten eine neue Welle von Verfolgungen. Mit gutem Grund: Die BJP-Rhetorik läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig.
Die Organisation der BJP ist hervorragend. Sie ist — neben der kommunistischen — die einzige Partei, die bis in die kleinsten Orte mit Kadern organisiert ist. Kader, die entweder der BJP selbst oder aber deren radikal-hinduistischer ideologischer Mutterorganisation RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh/Nationales Freiwilligen-Korps) angehören.
L. K. Advani ist ein kleiner Mann, 63 Jahre alt, ein ehemaliger Zeitungsredakteur. Mit brüchiger Stimme attackiert er auf den Wahlveranstaltungen die anderen Parteien und kommt dann auf die islamische Bedrohung zu sprechen: „Pakistan steht schon an der Schwelle von Delhi. Eure Tempel werden zerstört werden“, ruft er. Die Menge bleibt ruhig. Viele Zuschauer sind keine BJP-Anhänger. „Die BJP ist neuerdings in den Schlagzeilen, deswegen wollte ich einfach mal hören, was Advani zu sagen hat“, meint ein Mann.
Im Hindi-Gürtel — die bevölkerungsreichen, hindisprachigen Staaten im nordwestlichen und mittleren Indien — hat die BJP die meisten Anhänger, denn sie ist sehr auf die Kultur des Nordens zugeschnitten. Zudem stoßen hier die Anti-Muslim- Slogans auf das meiste Verständnis. Religiöse Auseinandersetzungen sind im Norden gewalttätiger als im Süden, der traditionell toleranter ist. Im Norden erinnert man sich klarer an die Massenmorde während der Teilung des Landes in Indien und Pakistan.
Im letzten Winter sah der Hindi- Gürtel die blutigen Zusammenstöße in der Stadt Ayodyah. Es ging um die Frage, ob Hindus an dem Ort, wo der Sage nach der mythische Heldengott Ram geboren wurde, einen Tempel errichten dürfen, obwohl genau dort schon eine Moschee steht. Ayodyah sei ein typisches Beispiel dafür, daß die Moslems selbst die heiligen Orte der Hindus okkupieren, sagen die Fundamentalisten und heizen damit die Stimmung an. Die Moslems sind in ihren Augen ohnehin die Sündenböcke für alle Probleme.
In ihrem Wahlprogramm vermeidet die BJP allzu scharfe Töne. Alle Religionen seien gleich, aber die Sonderrechte zum Schutz der Minderheiten sollten abgeschafft werden. In der Wirtschaftspolitik setzt die BJP auf den freien Markt, kündigt Privatisierungen an, und der Armee wird die Anschaffung von Atomwaffen versprochen.
Kritik seitens islamischer Gruppen wird von den Hindu-Chauvinisten abgetan mit „Geh doch nach drüben“ — in diesem Falle: nach Pakistan. Prominente Politiker wie Ex- Premierminister V. P. Singh bezeichnen die BJP als Faschisten.
Ein Beispiel für den Kurs der BJP ist ihr Kandidat in East Delhi, dem zweitgrößten Wahlkreis in Indien. East Delhi ist ein sozial gemischter Wahlkreis, mit Mittelklassevierteln ebenso wie Slums und illegalen Siedlungen; Menschen aller in Indien vertretenen Religionen wohnen hier. BJP-Kandidat Baikunth Lal Sharma ist pensionierter Beamter. Sharma ist ein „Mann des Volkes“, der nicht im vollklimatisierten Auto, sondern zu Fuß in seinem Wahlkreis Werbung macht. Bei Wahlveranstaltungen verteilen seine Anhänger Flugblätter mit Zitaten aus dem Koran, die beweisen sollen, daß der Islam eine aggressive und blutrünstige Religon ist. Vor der Presse distanziert sich Sharma von dieser Art Propaganda, denn religiöse Auseinandersetzungen zu provozieren ist strafbar. Aber bei einer Tasse Tee im Hinterzimmer seines Hauses nimmt er kein Blatt vor den Mund: „Die Moslems dürfen viele Frauen haben. Sie produzieren massenhaft Kinder, viel mehr als die Hindus. Sie werden sich vermehren, bis wir die Minderheit in unserem eigenen Land sind.“ Den Einwand, daß Moslems schließlich nur 12 Prozent der Bevölkerung ausmachten und daß es statistisch nicht belegt sei, daß Moslems mehr Kinder haben, wischt Sharma beiseite. „Sie werden immer mehr, und dann werden sie Land fordern. Der Separatismus liegt ihnen im Blut!“ Zudem respektiere der Islam die Frauen nicht, fügt er hinzu. „Wir hingegen sehen die Frau als Göttin, vor allem, wenn sie Mutter ist. Mütter sind die Schöpferinnen der neuen Nation, denn sie gebären das ,gute Material‘ für das Land.“
Frauengruppen in ganz Indien haben die BJP wegen ihrer Frauenpolitik angegriffen. Die Gleichheit vor dem Gesetz, welche die BJP fordert, das heißt keine gesonderten Rechte für verschiedene Religionsgruppen, schließe eine echte Gleichheit von Frauen und Männern nicht ein. Zurück in die Küche, sagen die Fundamentalisten. B. L. Sharma zeigt sich da ein wenig offener. Sicher könnten die Frauen Berufe ausüben, sagt er: „Telefonistin, Schreibkraft, und vor allem Lehrerin. Das kommt ihrer Berufung als Mutter entgegen.“
Mit dieser Ideologie kommt die BJP bei den Wählern an, vor allem bei jüngeren Männern in den Städten. Es ist die urbane Mittelklasse, die eine politische Heimat bei den Fundamentalisten findet. Sie ist eine Erscheinung der achtziger Jahre: Ein wirtschaftlicher Boom verhalf vielen aus der unteren Mittelschicht zu einem sozialen Aufstieg. Diese Mittelklasse ist westlich orientiert, mit einem materialistischen Wertesystem. Auto, Farbfernseher und Video sind die Statussymbole. Psychologisch befindet sich die neue Mitteklasse jedoch in einer Krise: Die traditionellen Strukturen brechen unter dem Einfluß der Modernisierung zusammen. Dies wird deutlich an den wachsenden Problemen in den Familien, an den Generationskonflikten. Aber als Ersatz entstehen keine neuen Strukturen. Hinzu kommt der gnadenlose Konkurrenzkampf, die Unsicherheit und der Streß, den neugewonnenen Platz behaupten zu müssen. In dieser Situation entdecken viele Menschen die Religion als Anker. Ein Name ist für die radikal- hinduistische Mittelklasse schon gefunden: „Scuppies“ — „saffron-clad yuppies“ (safranfarben gekleidete — also BJP-orientierte — Yuppies).
Zwei weitere Faktoren erklären die wachsende Popularität der BJP. Ihr Führer L. K. Advani gilt als ehrlich und unbestechlich. Und viele sagen, man müsse der BJP als „unverbrauchter“ Partei eine Chance geben — in der Hoffnung, daß sich die chauvinistischen Slogans als bloße Wahlpropaganda entpuppen.
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