Die dicken Köppe der Chemnitzer

Bürgerinitiative will Karl-Marx-Monument im Zentrum der sächsischen Industriestadt als Zeitzeugen behalten  ■ Aus Chemnitz Franz Böhm

Zu DDR-Zeiten gab es in Karl-Marx-Stadt (für die, die es vergessen haben, natürlich heute Chemnitz) fast keine Postkarte, auf der es nicht drauf war: Das Karl-Marx-Monument, ein Riesenkopf, gegossen in Bronze vom sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel. Der „Nischel“ in der „Schädelgasse“ ist heute mehr als umstritten. Viele Chemnitzer wollen, daß das Denkmal im Stadtzentrum entfernt wird. Andere halten dagegen, daß man die seit 1953, dem Jahr der Umbenennung der Stadt Chemnitz in Karl-Marx-Stadt, verflossene Zeit ja nicht ungeschehen machen könne und Bilderstürmerei noch nie ein Zeichen von Kultur gewesen ist.

Während dieser Streits schaut der große Denker Karl-Heinrich auf seinem Marmorsockel in der Karl-Marx-Allee (die Straßenschilder sind noch nicht ausgetauscht worden) weiterhin recht nachdenklich vor sich hin. Ja, so blickte er schon immer, und so manches Mal habe ich gute Freunde auf diesen Gesichtsausdruck aufmerksam gemacht. Da ist gar nichts von dem Optimismus zu finden, den die SED-Führung so gern verordnete. Manchmal konnte man schon denken, einem „einheimischen“ Bildhauer hätte die SED- Spitze mehr optimistischen Ausdruck abverlangt...

Doch wie dem auch sei: Der Widerstand gegen eine Entfernung dieses Denkmals wächst. Immer öfter wird darauf hingewiesen, daß es in Chemnitz ohnehin recht wenige Zeugnisse der Geschichte gebe. „Wir können uns es nicht leisten, nun auch noch alles, was an die 37 Jahre Karl- Marx-Städter Geschichte erinnert, zu entfernen“, sagt zum Beispiel Formgestalter Clauß Dietel auf einer Zusammenkunft der seit einem Jahr bestehenden Bürgerinitiative Karl-Marx- Denkmal. Die Mitglieder fragen auch, ob die Entfernung des Denkmals nicht eine Lüge vor den nächsten Generationen wäre. Die Bürgerinitiative könnte damit leben, wenn dem Kulturausschuß des Stadtparlaments Ideen auf den Tisch flattern, die das gesamte Ensemble Karl-Marx- Monument und Allee einschließlich Stadthalle und Hotel Kongreß städteplanerisch verändern würden. Vielleicht „Begrünung, Umhüllung oder Umbauung“ derartiger Denkmäler, damit diese im Stadtbild nicht wie bisher dominant alles überragen. Zu diesem Thema gibt es auch einen Architekturwettbewerb zu Konzeptionen für das Chemnitzer Stadtzentrum, die die Geschichte der letzten Jahrzehnte nicht verleugnen sollen. Am Ende des Monats soll dann eine Pro-und-contra- Diskussion, zu der die Bürgerinitiative einlädt, das Für und Wider noch einmal abwägen. Der Stadtverwaltung wird ein gerüttet Maß an Arbeit abgenommen und eine „Entscheidungshilfe“ geboten. Die jüngsten massiven Bürgerproteste zu unsäglichen Umbenennungsaktionen von Straßen und Plätzen sollten den „Stadtvätern“ zu denken gegeben haben, nicht mehr an den Interessen der Bürger vorbeizuregieren: Die schier endlose Liste mußte das Rathaus inzwischen zurücknehmen, um sie zu überarbeiten und neu vorzulegen.

In Chemnitz wird ein Tieflader erwartet zum Abtransport eines sowjetischen Panzers, einem Denkmal, auf das die Chemnitzer Stadtväter bereits verzichtet haben. Ein Militärmuseum in den alten Bundesländern meldete sofort Interesse an und läßt den Panzer auf seine Kosten abtransportieren. Das Museum will das Militärgerät nicht zum Verschrotten, sondern als Zeitzeugen. Der Chemnitzer Senat hat darauf verzichtet.